hans-christian oeser zitiert
Eine Übersetzung ist entweder grammatisch oder verändernd oder mythisch. Mythische Übersetzungen sind Übersetzungen im höchsten Stil. Sie stellen den reinen, vollendeten Charakter des individuellen Kunstwerks dar. Sie geben uns nicht das wirkliche Kunstwerk, sondern das Ideal desselben. Noch existiert, wie ich glaube, kein ganzes Muster derselben. Im Geist mancher Kritiken und Beschreibungen von Kunstwerken trifft man aber helle Spuren davon. Es gehört ein Kopf dazu, in dem sich poetischer Geist und philosophischer Geist in ihrer ganzen Fülle durchdrungen haben. Die griechische Mythologie ist zum Teil eine solche Übersetzung einer Nationalreligion. Auch die moderne Madonna ist ein solcher Mythus.
Grammatische Übersetzungen sind die Übersetzungen im gewöhnlichen Sinn. Sie erfordern sehr viel Gelehrsamkeit, aber nur diskursive Fähigkeiten.
Zu den verändernden Übersetzungen gehört, wenn sie echt sein sollen, der höchste poetische Geist. Sie fallen leicht ins Travestieren, wie Bürgers Homer in Jamben, Popens Homer, die französischen Übersetzungen insgesamt. Der wahre Übersetzer dieser Art muß in der Tat der Künstler selbst sein, und die Idee des Ganzen beliebig so oder so geben können. Er muß der Dichter des Dichters sein und ihn also nach seiner und des Dichters eigner Idee zugleich reden lassen können. In einem ähnlichen Verhältnisse steht der Genius der Menschheit mit jedem einzelnen Menschen.
Nicht bloß Bücher, alles kann auf diese drei Arten übersetzt werden.
(Novalis: Blütenstaub. In: ders.: Werke in einem Band. Ausgewählt und mit einem Nachwort versehen von Dr. Uwe Lassen. Hamburg: Hoffmann und Campe, o. J., S. 336)
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LINKS DER NICHT GANZ UNSICHTBARE ÜBERSETZER
Foto rechts oben: © Christian Jungeblodt
Foto links oben: © Christopher Oeser
Foto links unten: © Christiane Petersen
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Nationalliteratur will jetzt nicht viel sagen, die Epoche der Weltliteratur ist an der Zeit, und jeder muß jetzt dazu wirken, diese Epoche zu beschleunigen.
(Johann Wolfgang von Goethe, 31. Januar 1827. In: Johann Peter Eckermann: Gespräche mit Goethe in den letzten Jahren seines Lebens. Wiesbaden: Insel, 1955, S. 205)
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Und so ist jeder Übersetzer anzusehen, daß er sich als Vermittler dieses allgemein geistigen Handels bemüht, und den Wechseltausch zu befördern sich zum Geschäft macht. Denn, was man auch von der Unzulänglichkeit des Übersetzens sagen mag, so ist und bleibt es doch eins der wichtigsten und würdigsten Geschäfte in dem allgemeinen Weltwesen.
Der Koran sagt: "Gott hat jedem Volke einen Propheten gegeben in seiner eigenen Sprache." So ist jeder Übersetzer ein Prophet in seinem Volke.
(Johann Wolfgang von Goethe: Brief an Thomas Carlyle, 20. Juli 1827. In: Goethes Werke. Herausgegeben im Auftrag der Großherzogin Sophie von Sachsen. IV. Abteilung: Goethes Briefe, Bd. 42. Weimar: H. Böhlau, 1907, S. 270)
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Mög' Euch die schmeichelnde Gewöhnung
Befreunden auch mit fremder Tönung,
Daß Ihr erkennt: Weltpoesie
Allein ist Weltversöhnung!
(Friedrich Rückert, Der Geist der Lieder. In: ders.: Gesammelte Gedichte. Erlangen: Heyder, 1837, S. 30)
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An die Stelle der alten lokalen und nationalen Selbstgenügsamkeit und Abgeschlossenheit tritt ein allseitiger Verkehr, eine allseitige Abhängigkeit der Nationen voneinander. Und wie in der materiellen, so auch in der geistigen Produktion. Die geistigen Erzeugnisse der einzelnen Nationen werden Gemeingut. Die nationale Einseitigkeit und Beschränktheit wird mehr und mehr unmöglich, und aus den vielen nationalen und lokalen Literaturen bildet sich eine Welt- literatur.
(Karl Marx / Friedrich Engels: Manifest der Kommunistischen Partei. In: dies.: Werke, Bd. 4. Berlin: Dietz, 1971, S. 466)
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The difference between the almost right word and the right word is really a large matter - ’tis the difference between the lightning-bug and the lightning. / Der Unterschied zwischen dem beinahe richtigen Wort und dem richtigen Wort ist eine bedeutende Angelegenheit - es ist der Unterschied zwischen einem Glühwürmchen und einem Blitz.
(Mark Twain: Letter to George Bainton, 15 October 1888. In: George Bainton: The Art of Authorship. Literary Reminiscences, Methods of Work, and Advice to Young Beginners, Personally Ccontributed by Leading Authors of the Day. New York, NY: D. Appleton, 1890, S. 87-88)
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Os autores escrevem as suas respectivas literaturas nacionais, mas a literatura mundial é obra dos tradutores. / Der Autor schafft mit seiner Sprache nationale Literatur, die Weltliteratur wird von den Übersetzern gemacht.
(José Saramago. In: Zeitmagazin, 17. Oktober 1997)
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I translate, therefore I am. / Ich übersetze, also bin ich.
(Jhumpa Lahiri: My Intimate Alien. In: Outlook. Collector's Edition, 2000, S. 120)
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Für "ernste Musik" lese man "das literarische Kunstwerk", für Interpretation" lese man "Deutung und Übersetzung":
Nur Werke, die in irgendeiner Weise über sich selbst hinausgehen und auf mehr hindeuten, als sie ausdrücken, lösen den Impuls zur Interpretation aus. Die Interpretation ist genau der Ort, wo sich dieses Mehr artikuliert und zum Ausdruck kommt. Sie ist ein Grenzgebiet, ein Niemandsland, das dem Werk selbst nicht mehr gehört und der Welt, die sie aufnimmt, noch nicht. (...) Möglicherweise umreißen die Kunstwerke in diesem Mehr-Sein, als sie in Wirklichkeit sind, das, was von der Idee der Transzendenz noch praktikabel ist. Die Interpretation, die dem Mysterium der Kunstwerke innewohnt, ist die praktische Erfahrung einer Transzendenz. Wie in der Erinnerung, so nimmt das, was früher schlicht und einfach war, auch in der Interpretation ungeahnte und enthüllende Formen und Inhalte an. Solche Dialoge mit der Vergangenheit rufen Gespenster hervor. In ihnen haben die Überreste dessen Zuflucht gesucht, wofür man einst den Begriff Transzendenz prägte. In diesem Zusammenhang wird die These verständlich, der zufolge die "Geistigkeit" der ernsten Musik eine Aufgabe und keine Tatsache sein müßte. Diese "Geistigkeit" - diese Fähigkeit, die Transzendenz wieder wachzurufen - nimmt erst in der Praxis der Interpretation Gestalt an und ist keinesfalls von ihr gegeben. (...)
Faktisch entgeht ein musikalisches Werk einer rein kommerziellen Identität erst dann, wenn es einen Dialog mit der Interpretation beginnt, und nicht vorher. Vorher läuft es nur Gefahr, eine Ware zu sein, die sich nicht verkauft. Gerade der Dialog mit der Interpretation vervielfacht die Identitäten des Werks und zeigt den Weg zu seiner Wahrheit in einer Art auf, die eine naive und unvermittelte Wahrnehmung automatisch ausschließt. (...)
Wie die Ästhetik des 20. Jahrhunderts lehrte, stellt sich uns kein Kunstwerk der Vergangenheit so dar, wie es ursprünglich war. Es erreicht uns als Fossil, mit Ablagerungen verkrustet, die sich im Laufe der Zeit angesammelt haben. Jede Epoche, die es hütete, hat ihre Spuren auf ihm hinterlassen. Und das Kunstwerk seinerseits hütet und überliefert diese Spuren, die ein wesentlicher Bestandteil seiner Existenz werden. Was wir erben, ist nicht nur die ursprüngliche Schöpfung eines Künstlers, sondern auch eine Reihe von Spuren, unter denen die ursprünglichen von den übrigen praktisch nicht zu unterscheiden sind. Die Einheit des Kunstwerks umfaßt auch seine Metamorphosen und löschte jede Grenze zwischen einer vermeintlichen ursprünglichen Authentizität und der Geschichte seines Geschehens in der Zeit aus. Es ist diese Geschichte.
Das alles nagt am Totem der Werktreue. Es gibt kein Original, dem man treu bleiben muß. Vielmehr wird man den Ansprüchen eines Werkes gerade dadurch gerecht, daß man es als Material der Gegenwart noch einmal geschehen läßt und es nicht als Fundstück aus irgendeiner reglosen Vergangenheit rekonstruiert. (...) Der Akt, der das Original verschwinden läßt, liegt tief im Werk selbst begründet: in dessen objektivem Bestreben, niemals aufzuhören.
(...)
Die Interpretation (...) übernimmt, was im Werk Bewegung ist, was Spannung, was untergründiges Leben und was noch nicht ausgesprochenes Wort ist. Das alles führt zu einer chemischen Reaktion mit der Identität der eigenen Zeit.
(...) Der Interpret ist das Medium zwischen Werk und Zeit. Er ist der Akt, der die Kreise zweier sich suchender Kulturen vereinigt. Er ist das Wörterbuch, in dem sich diese beiden Sprachen treffen. Darum muß sich die Fähigkeit des Interpreten, die objektiven Bewegungslinien der Musik zu entschlüsseln, mit dem Talent kreuzen, die Zeit, der er angehört, zu dokumentieren. Im Interpreten muß das Werk auf die neue Welt treffen, in der es heimisch werden will. (...)
Die Freiheit der Interpretation liegt darin, daß etwas erfunden werden muß, das es nicht gibt: jenes Werk in dieser Zeit.
(Alessandri Baricco: Hegels Seele oder die Kühe von Wisconsin. Nachdenken über Musik. Aus dem Italienischen von Karin Krieger. München, Zürich: Piper, 2001, S. 32-44)
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Mein Plädoyer läuft also zuletzt auf den Übersetzer als Autor im emphatischen Sinne des Begriffs hinaus, auf seine Verabschiedung aus einer bloß dienenden Funktion und auf die Anerkennung der Übersetzung als eines eigenen authentischen Werks, das zu dem Anreger-Werk in einer Beziehung der Ähnlichkeit steht, dessen Qualität sich aber nicht darin erweist, daß es eine möglichst vollkommene Kopie (imitatio) in der Zielsprache erreicht, sondern daß es als authentisches Gebilde die ästhetischen Bedürfnisse seines neuen Publikums erfüllt und in diesem Sinne das Original überbietet.
(Gert Ueding, 2005)
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Dem (...) Fremden entgegenzustellen ist die Figur des Übersetzers, der die Erfahrung von Liminalität und kultureller Hybridität aushalten und die verzeichneten Brüche und Interferenzen von kulturellen Mustern zu einem neuen Ganzen zusammenfügen kann. Als "Grenzgänger" zwischen Sprach- und Kulturfeldern vermittelt er nicht nur zwischen "Fremdem" und "Eigenem", indem er durch die geschaffene Äquivalenz des Nicht-Identischen kulturelle Unterschiede kenntlich macht. Vielmehr gründet er seine eigene Existenz auf die schöpferische Ausfüllung jenes "Dazwischen", auf jenen in der Überlappung von Kulturfeldern geschaffenen imaginären "Dritten Raum", der ihm die Verortung seiner transkulturellen Identität gestattet.
(Vorwort. In: Claus-Dieter Krohn u. a., Hrsg.: Übersetzung als transkultureller Prozess. Exilforschung. Ein internationales Jahrbuch, Bd. 25. München: edition text + kritik, 2007, S. X)
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Ohne Übersetzer wären wir alle mindestens doppelt so dumm.
(Daniela Schadt, 25. Januar 2017)
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Senza tradurre sarei limitato tra i confini del mio paese. Il traduttore è il più importante alleato. È lui che mi introduce al mondo! / Ohne das Übersetzen wäre ich an die Grenzen meines Landes gebunden. Übersetzer sind meine wichtigsten Verbündeten. Sie sind es, die mich der Welt vorstellen.
(Italo Calvino)
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There are few nations globally that can boast so many widely recognised authors as Ireland. Names like James Joyce, W. B. Yeats, Samuel Beckett, and George Bernard Shaw are known all around the world, in large part, thanks to the works of translators who dedicate years of their lives to deciphering and reworking Irish literature in other languages.This phenomenon is not a historical one. Writers like Sebastian Barry continue to offer new, Irish perspectives on the world, and new challenges for the literary translators who increase the reach of their work manyfold.
Literary translation is an art that often goes unnoticed, especially if it is well executed. In literature, where form and function are two sides of the same coin, translators often toil for hours to render a single page of text not only meaningful, but as artistically captivating in another language. Much of this work goes unrecognised, until we have chances like this event, to ask the translators to tell us about their work first-hand.
(James Hadley, Director of Trinity Centre for Literary and Cultural Translation, 26 September 2023)