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presse - artikel

Dietlinde Terjung

Ein Buch erhebt seine Stimme


Hugo Hamilton präsentiert "Echos der Vergangenheit"


Lüneburg. Es gibt viele Möglichkeiten, Geschichten zu erzählen - aus der Sicht eines Kindes, einer Katze, eines Hundes - alles schon da gewesen. Hugo Hamilton hat eine neue Perspektive entdeckt: Er macht ein Buch zum Erzähler in seinem neuen Roman ,,Echos der Vergangenheit“. Das Literaturbüro Lüeburg hat den irischen Autor mit deutschen Wurzeln in der Reihe "Ausgewählt" ins Heinrich-Heine-Haus eingeladen und ihm den Irland-Kenner, Autor und Übersetzer Hans-Christian Oeser als Moderator zur Seite gestellt.
      Das Buch, das er erzählen lässt, ist ein besonderes, eines, das die Bücherverbrennung 1933 üerlebt hat. Seine Geschichte umfasst knapp 100 Jahre, von der Geburtsstunde des Erscheinens (1924) bis heute, zieht sie sich durch viele Länder und Begebenheiten. Es ist die Erstausgabe von Joseph Roths "Die Rebellion". Der österreichische Autor und Journalist, geboren in Galizien (heute teils Ukraine, Lwiw/Lemberg). war viel unterwegs, oft auf der Flucht vor den Nazi-Jägern. "Die Rebellion" handelt von dem Kriegsversehrten Andreas Plum, der als Leierkastenmann zunächst sein Auskommen hat.
    Gerettet vor den Flammen am 10. Mai 1933 auf dem Berliner Opernplatz (heute Bebelplatz) landet "Die Rebellion" mit einem Auswanderer in den USA, wird wohlbehütet und vererbt, jüngst an Lena. Eine Karte am Ende des Buches fasziniert sie dermaßen, dass die New Yorker Künstlerin das Geheimnis, das sie dahinter vermutet, lüften will. Sie reist nach Berlin, wo es gedruckt urde. Damit beginnt ein weiterer Handlungsstrang, denn das Erbstück wird gestohlen, was neue Spannung bringt.
   "Ein Buch erhebt seine Stimme, als könnte es beobachten", beschreibt Oeser Hamiltons Vorgehensweise und fragt, warum er "Die Rebellion" dafür ausgewählt habe. Hamilton - schon häufiger in Lüneburg zu Gast - erklärt, dass dieser Roman viele interessante Ebenen habeund dass Joseph Roth immer auf der Flucht war, ein Thema, das auch heute aktuell sei und Migration heiß. Hamilton bemüht sich, auf Deutsch zu antworten, schließlich stammt seine Mutter aus dem Rheinland und auch sein irischer Vater hatte die Sprache gelernt. "Zu Hause durfte nur Gälisch oder Deutsch gesprochen werden, Englisch war tabu", berichtet er. Was das Leben schwierig machte, denn sobald er das Haus verließ, war Englisch angesagt, und er kam sich vor wie im Ausland.
      Immer wieder geht es in dem Roman auch um den Autor Joseph Roth, seine Reisen, seine wunderschöne Frau Friederlke, die an Schizophrenie erkrankt und schließlich in den öfen von Schloss Hartheim bei Linz umkommt. "Friederike konnte dieses rastlose Leben nicht mitmachen. Aber Joseph Roth liebte sie und hoffte, dass er sie retten könne. Friederike wurde von vielen Autoren anders beschrieben, so als hätte sie ihn behindert." Das wollte Hamilton hiermit richtigstellen.
    Zudem geht es um Schriftstellerkollegen, vomehmlich Stefan Zweig, sowie um den Berliner Finder des Buches, Armin, der aus Tschetschenien geflohen ist und von einem Rassisten bedroht wird. All diese verschiedenen Ebenen werden von Kapitel zu Kapitel zu einem großen Panorama verflochten, beschreibt Oeser das Werk im historischen Ambiente des gut besuchten Heine-Hauses. Beispielhafte Textpassagen liest Hamilton auf Englisch, Oeser dann in der Übersetzung. Besonders gefällt die Stelle vom Buchgeflüster in einer Bibliothek, wenn alles schläft und "die Bücher Zwiesprache halten im stillen Haus“. "Ich hatte schon immer die Idee, dass die Büher in den Regalen nachts miteinander reden, bis am Morgen jemand eintritt. So auch dieses Buch: Es kann sich an 1933 erinnern und sieht aber auch, was jetzt passiert“, schwärmt der Autor. Oeser versteht es als ,,Liebeserklärung an Bücher“. 
      Nicht nur Menscben auf der Flucht spielen in dem vielschichtigen Werk eine Rolle, auch die Liebe - zwischen Menschen genauso wie zur Literatur, zu Büchern. Hamiltons "Echos der Vergangenheit" hallen lange nach, nicht nur ein literarischer Hochgenuss, sondern auch unterhaltsam und lehrreich. Und darüber hinaus macht es Lust, Joseph Roth wiederzuentdecken.

(Dietlinde Terjung, Landeszeitung Lüneburg, 2. Juni 2023)

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