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Marie-Luise Braun

Landleben, ganz ohne Idylle

Claie Keegan stellt ihre Kurzgeschichten in der Universität vor

 


Etwas verschlossen und unnahbar wirkt Claire Keegan, als sie den Raum im ehemaligen Kreishaus betritt. Ihren schwarzen Mantel zieht sie gar nicht erst aus und nimmt gleich hinter dem Lesetisch Platz. Doch im Lauf der Lesung entpuppt sich die Irin als humorvolle Unterhalterin — obwohl sie ungeschmeidige Themen aufgreift.
      „Ich lege die Eier, ausbrüten müssen Sie sie selbst“, sagt sie über ihre Erzäihlungen und deren Wirkung bei den Lesern. Bei ihren Kurzgeschichten greift sie zu ungwöhnlichen Stilmitteln. So ist der Beitrag über eine junge Irin, die ihr Elternhaus verlässt, in der zweiten Person Singular verfasst. Wie einem abgespalteten Ich berichtet sich die Frau selbst, was ihr bereits widerfahren ist und gerade passiert. Die befremdliche Stimmung, die dadurch aufkommt, ist der Teppich für einen Lebensbericht, in dem die Mutter das Mädchen dem Vater zum Missbrauch gebracht hat.
       Mit ihrem Übersetzer Hans-Christian Oeser trägt Keegan Geschichten aus ihrem aktuellen Buch „Durch die blauen Felder“ vor. Diese spielen zwar auf dem Land, sind aber weit von einer Idylle entfernt. Sie handeln von Menschen, die in vertrackten Verhältnissen leben, die trotz familiärer Strukturen einsam und sprachlos sind. Die Protagonisten scheitern und versuchen. Der Situation zu entfliehen, in der es keine Liebe gibt.
      Dennoch ist es ein Genuss, Claire Keegan (Jahrgang 1968) zuzuhören. Weil Humor aus den Zeilen hervorblitzt oder eine schöne Formulierung mit der Härte der Geschichte versöhnt. Zum Beispiel wenn Keegan die vergehende Zeit beschreibt: „Der Wind schiebt die Wolken erst in die eine, dann in die andere Richtung.“
      Es gibt keinen Roman vom der Keegann. ,,Für einen Roman muss man über mindestens zwei Generationen berichten oder über einen Krieg“, witzelt die Autorin. Die Konstruktion eines Romans ist ihr zu mühsam, sie steigt lieber mit Kurzgeschichten in den Alltag ein, ohne vom großen Ganzen bedrängt zu werden. Dennoch schreibt sie gerade an einem Roman: „Die Geschichte hat sich so entwickelt.“
      Wundervoll geschrieben sind die Geschichten, die Keegan als Eier legt. Und wie sieht sich der Übersetzer? Bebrütet er die Eier der Autorin, bevor er sie an die deutschen Leser weiterreicht? „Ich lege das Ei neu“, meint Hans-Christian Oeser selbstbewusst nach der Veranstaltung von der Buchhandlung zur Heide und dem Institut für Anglistik und Amerikanistik der Universität.
      „Eine Geschichte ist nicht beendet — bis jemand sie liest“, sagt Claire Keegan, der viele weitere Menschen zu wünschen sind, die ihre Geschichten beenden.

(Osnabrücker Zeitung, 24. Oktober 2008)

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