top of page

presse - artikel

N. N.

 

Bericht zum Workshop „Klassiker übersetzen“ (Leiter: Hans-Chris?an Oeser)

 


Der Workshop „Klassiker übersetzen“ war thematisch in zwei Blöcke unterteilt: Der erste Block vor der Pause widmete sich Fragen wie: Was ist ein Klassiker? Ist es sinnvoll, einen Kanon zu erstellen der Bücher, die man gelesen haben sollte? Der zweite Teil war praktisch angelegt: Was passiert, wenn wir einen – wirklich nur einen! – Satz eines deutschen Klassikers ins Englische übersetzen, hier: den
ersten Satz aus der Erzählung „Die Verwandlung“ von Franz Kafka. Und: Vor welche Herausforderungen stellt uns die Übersetzung eines Klassikers, hier: ein Satz aus „Jahrmarkt der
Eitelkeiten“ von William Makepeace Thackerey (den Hans-Christian Oeser kürzlich neu übersetzt hat).

      Die Frage „Was macht einen Autor zum Klassiker?“ wurde, wie erwartbar, ausführlich, aber nicht endgültig beantwortet. Vorschläge waren u. a.: das, was überdauert hat; das, was in seiner Zeit
kulturellen Einfluss hatte; das, was für die Epoche (und die Zeit danach) prägend war; das, was unausschöpflich ist; das, was stilbildend war. Bei der Frage, ob es sinnvoll ist, einen Kanon auszubilden, gingen die Meinungen auseinander. Der eine empfand seine solchen Kanon eher als Gängelei, die andere als eine willkommene Anregung.

      Beim praktischen Teil passierte, was immer passiert, wenn man Übersetzer mit einem Satz ködert: Sie stürzen sich darauf und diskutieren auf hohem Niveau. Hans-Christian Oeser hatte die Teilnehmer im Vorfeld darum gebeten, besagten Beginn von „Die Verwandlung“ ins Englische zu übersetzen. Also: „Als Gregor Samsa eines Morgens aus unruhigen Träumen erwachte, fand er sich in seinem Bett zu einem ungeheuren Ungeziefer verwandelt.“ Neben den selbst erstellten Versionen hatte Hans-Christian Oeser diesen Satz auch noch in mehrfacher Ausführung mitgebracht, sprich: in den vielen
Übersetzungen, die erhältlich sind oder waren. Und schon war man mittendrin in der Debatte: Wie übersetzt man das „ungeheuren“? Wie rettet man die Alliteration „ungeheuren Ungeziefer“? Wie gibt man das „fand sich“ wieder? Wie bringt man das „in seinem Bett“ im Satz unter? Interessanterweise war die Schlussfolgerung am Ende der Diskussion: Keine der vorliegenden Übersetzung überzeugt vollends. Es bleibt also auch für zukünftige Kafka-Übersetzer-Generationen etwas zu tun.

      Bei der Übersetzung von „While the present century was in its teens, and on one sunshiny morning in June, there drove up to the great iron gate of Miss Pinkerton’s academy for young ladies, on Chiswick Mall, a large family coach, with two fat horses in blazing harness, driven by a fat coachman in a threecornered hat and wig, at the rate of four miles an hour.“ bewahrheitete sich ebenfalls oben erwähnte These: Man bringe mehrere Literaturübersetzer zusammen und setze ihnen einen Satz vor, und schon schraubt sich das Reflexionsniveau auf schwindelerregende Höhen. Fragen wie: Wo liegt die Satzbetonung im Englischen versus im Deutschen? Was macht man dann mit den nachklappernden adverbialen Bestimmungen? Wie frei darf man sein bei einer Wendung wie „in its teens“, wenn sie sich auf ein Jahrhundert bezieht (Hans-Christian Oeser hat sich – sehr schön! – die Flegeljahre
erlaubt). Ein Kuriosum: Mirko Bonné wies auf ein Detail hin, das allen entgangen war, auch Hans-Christian Oeser: „one sunshiny morning“, with two fat horses“, „in a three-cornered hat and wig“, „at
a rate of four miles an hour“, also: one, two, three, four. Dafür gab es Szenenapplaus.

      Die Lehre aus dem Workshop? Es lohnt sich immer, sich mit Kollegen zusammenzusetzen. Es ist ein großes Vergnügen, und man lernt etwas.

bottom of page