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presse - artikel

Jens Hinrichsen

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Fremde Schönheit gälischer Klänge

 

Die Literatur-Reihe "Grenzenlos" klang mit zwei irischen Autoren aus

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Eigentlich sind Lesungen, die gleich zwei Autoren präsentieren, immer ein wenig überfrachtet. Kürzere Leseproben wecken Appetit auf mehr "Originalton" eines Autors  Zumal wenn der Text mit so unnachahmlicher Zärtlichkeit vorgetragen wird wle von Bernard MacLaverty. Er war der erste zweier irischer Autoren, die mit einer Veranstaltung in der ,,Brücke“ die diesjährige "Grenzenlos"-Reihe beschlossen. Aber die Mischung stimmte, weil mit der Einladung Gabriel Rosenstocks ein Bogen geschlagen wurde von der Erzählkunst eines mit allen Wassern Hemingways und Joyces gewaschenen Romanciers (MacLaverty) hin zur konzentrierten Inwendigkeit des Lyrikers (Rosenstock). Also doch keine Überfrachtung, sondern eine Ahnung vom Spektrum neuerer irischer Literatur.

    Während der hagere, eher introvertiert wirkende Rosenstock trotzig für eine sprachliche Minderheit dichtet, ist MacLaverty - ein bulliger Kerl mit wachen Augen - der Autor mit größerer Breitenwirkung: Seine erfolgreichen Romane "Lamb - der Ausgeflogene" (1980) und "Cal" (1984) sind auch verfilmt worden. Was seinem frisch erschienenen Roman "Grace Notes" - deutsch: "Annas Lied" - auch passieren dürfte. Weil er traditionelles Erzählen mit emotionaler und sinnlicher Beschreibung verbindet. Wobei hier der akustische Sinn dorniniert. Ganz der Romanhandlung gemäß, denn die Heldin Catherine ist Komponistin. Erst durch die Geburt ihrer Tochter gelingt es ihr, sich inneren und äußeren Beengungen zu entwinden und ein großes symphonisches Werk zu komponieren. Neben einer verblüffend einfühlsam geschilderten Geburtsszene liest MacLaverty auch die Schußpassage, in der Catherine die Uraufführung ihrer Komposition erlebt. Hier laufen, in raffinierter Verknüpfung, alle Fäden der im Roman leitmotivhaft entwickelten Klangbilder zusammen: "Ein Thema klingt an, eine Erinnerung an den Glockenturrn in Kiew. Wie bitterkalt ihre Finger gewesen waren, als sie es aufgeschrieben hatte. Der Turm hatte in den Sohlen ihrer Schuhe widergehallt. Tintinnabulation. Glockenschall, Glockenschwall.“ Ein Beispiel übrigens für die Nöte des Übersetzers. Der ebenfalls anwesende Hans-Christian Oeser hat "Annas Lied" übertragen. Er gesteht, daß er
das klangmalerische "Tintinnabulation" durch eine bei Thomas Mann stiebitzte Fügung ergänzt habe.

   Noch heikler sind bekanntlich Gedichtübersetzungen. Hans- Christian Oeser trägt seine (bisher leider unveröffentlichten) Eindeutschungen einiger Gedichte von Gabriel Rosenstock vor. Welch ein klanglicher Unterschied, wenn Rosenstock seine Gedichte in der irischen Originalsprache "vorsingt"! Die fremdschöne Archaik der gälischen Laute entschädigt dafür, daß man nicht zu der Handvoll Menschen gehört, die des lrischen mächtig sind. Inhaltlich changiert das zwischen Melancholie, Morbidität und Witz. Für kräftige Lacher sorgt vor allem Rosenstocks Gedicht vom lästigen Wecker, den er in den Kühlschrank gestellt hat: "Die Rote Beete, der Käse, die gefrorenen Möhren / Aufschrecken werden sie um zehn vor acht.“

      Daß Rosenstock auch deutsche Lyriker ins Irische übersetzt hat, dokumentiert er mit Georg Heyms expressionistischem Poem "Der Krieg“. Daß auch Irland immer ein "heißes Pflaster" gewesen ist - Bernard MacLaverty stammt aus dem Pulverfaß Nordirland, Gabriel Rosenstock aus der irischen Republik - ist an diesem Abend übrigens überhaupt kein Thema.
 

(Braunschweiger Zeitung, 7. Mai 1999)

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