Hans-Christian Oeser empfiehlt "Im Glasberg"
Hans-Christian Oeser hat den mit 25.000 Euro dotierten Straelener Übersetzerpreis der Kunststiftung NRW für seine Übertragung von Sebastian Barrys „Tage ohne Ende“ (Steidl) gewonnen. Er empfiehlt Nadja Küchenmeisters Gedichtband „Im Glasberg“:
„Die Lyrik hat einen schweren Stand in Deutschland. Dabei formulierte doch Michael Krüger das Ziel, ‚den Menschen zu zeigen, dass ein Tag ohne die Lektüre eines Gedichts ein verlorener Tag ist‘. Den Tag zu einem gewinnbringenden zu machen, dazu bietet auch der dritte Gedichtband der 1981 geborenen Lyrikerin Nadja Küchenmeister Gelegenheit. Sein rätselvoller Titel: Im Glasberg. Diesen aufzuschließen, musste das Schwesterchen in dem Märchen „Die sieben Raben“ der Brüder Grimm ein Fingerchen opfern. Wir müssen mit dem Lesefinger nur Zeile für Zeile aufschließen. Küchenmeister ist eine Dichterin des Privaten auf der Suche nach der verlorenen Zeit: ‚Aus der ferne // dringt das hintergrundrauschen / alles versäumten.‘ Immer wieder kreisen ihre Verse um ein Ich und ein Du, wobei das Du auch eines der Selbstansprache sein kann. Mit leiser Melancholie wird der zerrinnende Augenblick beschworen. Doch sachtes Wort und lichte Form bieten täglich Trost, und wie das lyrische Ich wird der Leser ‚leicht in sich‘.“
Nadja Küchenmeister: Im Glasberg. Gedichte. Frankfurt am Main:, Schöffling, 2020.
(buchreport, 51. Jg., Nr. 22, 28. Mai 2020, S. 38)
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Das ist Genazino, wie er im Buche steht: der gedehnte Blick auf die kleinsten Alltagsdinge und die Seelenverästelungen, stilsicher, lakonisch, melancholisch, immer gleich und immer frisch: Wie kann man sich für die Liebe geeignet machen?
Wilhelm Genazino: Das Glück in glücksfernen Zeiten. Roman. München: Carl Hanser Verlag, 2009.
(Literaturport. Leselampe. Buchempfehlung der Woche, 2010, KW 21)