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presse - rezensionen

Gabrielle Alioth / Hans-Christian Oeser (Hrsg.): Alles wandelt sich. Echos auf Ovid. Eine Anthologie des PEN-Zentrums deutschsprachiger Autoren im Ausland. München: P&L Edition im Bookspot-Verlag, 2016.

 

 

Der antike römische Dichter Ovid – das ist Publius Ovidius Naso – lebte von 43 v. u. Z bis 17 u. Z. Vielen ist er heute nur als Schöpfer der „Ars amatoria“ (Liebeskunst) bekannt, sein Hauptwerk sind jedoch die „Metamorphosen“. Mit Blick auf den bevorstehenden 2.000 Todestag des Dichters, der in der Verbannung am Schwarzen Meer verstarb, hatte das „PEN-Zentrum deutschsprachiger Autoren im Ausland“ eingeladen, sich auf persönliche Weise mit Ovids „Metamorphosen“ auseinanderzusetzen.

     Die dem PEN-Zentrum zufolge besten Beiträge sind in der nun vorliegenden Anthologie „Alles wandelt sich“ vereint worden. Dieser Band versammelt die Arbeiten von 24 Männern und 16 Frauen. 25 sind Deutsche (davon 4 in der DDR-sozialisiert und je einer in Polen und Rumänien geboren), 13 stammen aus der Schweiz und je einer aus Österreich und Peru. Die meisten sind in den 1950er und 1940er Jahren geboren. Der Älteste ist der Österreicher Heinrich G.F. Schneeweiss (Jg. 1930), Jüngster ist der Möchengladbacher Sebastian Weirauch (Jg. 1990). Überwiegend wurden von den Autoren Prosatexte beigesteuert, von neun aber auch eines oder mehrere Gedichte.

     Die Texte stellen tatsächlich ganz persönliche Auseinandersetzungen mit den Metamorphosen, den Wandlungen, dar. Mal hochpolitisch, mal wirklich ganz persönlich, alltäglich oder gar banal. Leider muß man aber auch sagen, daß das Thema von einigen mehr oder weniger verfehlt wurde. Wenn z. B. drei der DDR-sozialisierten Autoren auf der „Stasi“-Thematik herumreiten. Oder wenn sie und andere aus „gutmenschlicher Westler-Sicht“ – ideologisch verblendet – antikommunistische, russophobe o. a. Vorurteile gegenüber ihnen fremden Nationen, Kulturen und selbstbestimmten Entwicklungswegen pflegen. Daher enttäuscht aus Sicht des Rezensenten die getroffene Auswahl zu weiten Teilen, und auch weil einige der Texte nicht gerade von literarischem Tiefgang künden.

     Sich Ovid am meisten genähert hat sich aus Sicht des Rezensenten der kürzeste Beitrag, das nur zwölf Zeilen umfassende Gedicht „Ovids Tränen“ (S. 23) von Burkhard P. Bierschenck. Ähnliches gilt für das längere Gedicht „Tod und Hoffen“ (S. 154-155) im Konvolut von Heinrich G.F. Schneeweiss. Das kann man aber auch von Jörg Acklins „Tempora mutantur“ sagen, der zum einen auf seine Erfahrungen mit dem gymnasialen Lateinunterricht eingeht und zum anderen die Wandlungen einst ultrarrrrevolutionärer K-Grüppler und „Grüner“ hin zu neoliberalen Akteuren. Er schreibt über solchen Typus: „... aber jetzt richtet er seine ideologischen Überzeugungen nach seinen veränderten ökonomischen Verhältnissen aus. Das ist ja alles auch ein bißchen verständlich. Am schlimmsten aber sind die Selbstgerechten. (...) Die eigene Geschichte völlig umschreiben, das macht sie nicht erträglicher, sondern gefährlich.“ (S. 13-14) Hier ist unbedingt auch Iso Camartins „Augenlust und Sehverbot“ (S. 44-49) zu erwähnen, darin es u. a. heißt: „Ovids ‘Metamorphosen’ haben wir am Gymnasium nicht behandelt. Man hat uns mit horazischen Gedichten, ciceronischen Reden und mit der Prosa des Tacitus gefüttert. Ovid war offenbar eine Mischung von heidnischer Vielgötterei und erotischem Weltverständnis, die zu einer Klosterschule nicht paßte.“ Camartins optimistisches Fazit: „Ovid lesen: das ist kein schlechtes Rezept, um nicht zu früh sterben zu wollen.“

     Sehr lesenswert ist ferner Irène Bourquins Essay über Salvador Dali „Cap de Creus“ (S. 34-38). Gleiches gilt für Martin R. Deans „Capriccio für Narziss und Echo“ (S. 50-52) und für Fred Kurers „Meine zwei Besuche bei Publius Ovidius Naso“ (S. 80-85). Schließlich muß hier auch noch Susanna Pionteks „Onkel Alexander und Ovid“ (S. 108-111) lobend erwähnt werden.

 

(Siegfried R. Krebs, Ein Freigeist. Ein Forum aus Weimar, 21. Oktober 2016)

 

 

So gut es auch vielen Menschen in der westlichen Welt gehen mag, befinden wir uns heute trotzdem global gesehen in Umständen des größten Leides, wenn wir vor allem an den unablässigen Strom von Flüchtlingen denken – rette sich wer kann! Die Exilerfahrung breitet sich aus, stößt aber zunehmend auf Fremdenhass, getragen von Angst und Unsicherheit. Was haben wir wohl jemals aus unseren eigenen Erlebnissen etwa unter den Nazis gelernt? Die anderen können, sollen ruhig selber zusehen, wie sie zurechtkommen. Mein und dein wird zunehmend genau getrennt, und die anderen sollen schön zu Hause bleiben, ob dort Terror herrscht, Krieg tobt oder ein Diktator, von denen es heute immer mehr zu geben scheint, die Menschen brutal unterdrückt.

     Schon vor 2000 Jahren hatte man die Politik der Exilierung betrieben, und das wohl berühmteste Opfer davon ist Ovid (gest. 17 n. Chr.) gewesen, auf dessen Werke sich die hier versammelten Autoren und Dichter beziehen. Manche nehmen direkt Bezug auf seine Gedanken oder Aussagen, aber die meisten reflektieren in vielerlei Form über Flucht, Exil, Vertreibung u. a.

     Die 38 Beiträge hier einzeln zu besprechen wäre ein Ding der Unmöglichkeit und sicherlich ungerecht gegenüber einem der Gedichte oder der Kurzerzählungen. Aber das überragende Thema macht sich überall bemerkbar, insoweit als die Vergangenheit aus spezieller Perspektive neu betrachtet wird und Leiderfahrungen früherer Tage, manchmal aber auch freudige und glückserfüllte Erlebnisse (Liebe) sprachlich verarbeitet werden. Manchmal handelt es sich um ein Märchen, dann um novellistische Erzählungen, oder um autobiographische Reflexe. Häufiger gehen die Autoren von konkreten Stellen bei Ovid aus, oder zitieren eine bekannte Zeile, was als Ansporn dazu dient, einen besonderen Aspekt in ihrem Leben daraufhin zu überprüfen. Exil als solches kommt aber gar nicht so häufig zur Sprache, vielmehr spielt die Vergangenheit, wie auch immer beurteilt, aus persönlicher Sicht eine recht große Rolle.

     Die Gedichte gefallen mir meistens recht gut (Vera Botterbusch, Gisela Holfter, Rainer Wedler), aber es gibt auch einige, die weniger Tiefgang besitzen und eher oberflächlich über historische Ereignisse berichten, ohne die notwendige poetische Ausdruckskraft zu erreichen (Heinrich G. E. Schneeweiss, Michael Starke). Trotzdem liest man sie gerne, weil der Reigen von Texten ein harmonisches Ganze bildet ungeachtet der Vielfalt an Themen. „Alles wandelt sich”, so heißt es auf dem Titelblatt, aber das menschliche Leiden wiederholt sich immer wieder, schlicht unter anderen Vorzeichen.

     Ovid hat uns also weiterhin viel zu sagen. Eine gewisse Wehmut zieht sich durch diese Anthologie, aber nur manchmal werden wir mit ganz aktuellen und harten, ja schmerzhaften Stoffen konfrontiert, so wenn Renate Ahrens („Durst”) das Grauen von syrischen Flüchtlingen in einem Lastwagentransporter schildert. Mit am stärksten geht Susanna Piontek auf Ovid ein, indem sie von ihrem Onkel berichtet, der passionierter Klassizist war und diesen Dichter verehrte. Dies spiegelt gut wieder, was dieser Band erreichen will, „Echos auf Ovid”, aber es ist eine fast zu schlichte, harmlose Erzählung im Vergleich zu dem, was Ahrens verfasste. Dass natürlich das Thema „Liebe” bei Ovid (Metamorphosen) eine zentrale Rolle spielte, macht sich hier auch in einigen Texten bemerkbar (Frederick Lubich), die dann eher vergnügliche Erfahrungen zum Besten geben. Dass Ovid gleichermaßen die stete Wandelbarkeit aller Existenz zum Ausdruck gebracht hatte, spiegeln besonders schön die Texte von Susanne Fritz und Lutz Rathenow.

     Dieser sympathische Band endet mit einer Liste von Kurzbiographien der Beiträger. Man kann gut darin schmökern, sich unterhalten lassen, sieht sich aber oft auch mit bitteren oder furchterregenden Motiven konfrontiert. Das PEN-Zentrum deutschsprachiger Autoren im Ausland hat sich hiermit selbst ein würdiges Denkmal literarischer Art geschaffen.

 

(Albrecht Classen, Glossen. German Literature and Culture after 1945, Nr. 42, 2016)

 

 

2017 jährt sich nicht nur der Martin Luthers Thesenanschlag in Wittenberg zum 500. Mal, auch der Todestag des antiken römischen Dichters Ovid findet zum 2000. Mal statt. Als Publius Ovidius Naso 17 n. Chr. in Tomis stirbt, ahnt niemand, dass er 2000 Jahre später immer noch bekannt ist und dass sich sogar das „PEN-Zentrum deutschsprachiger Autoren im Ausland” zu einer ganz persönlichen Auseinandersetzung mit Ovids Metamorphosen einlädt.

     Die besten Beiträge findet man in dieser Anthologie vereint. Insgesamt haben sich 16 Frauen, 24 Männer in diesem Buch mit der Thematik auf ihre ganz persönliche und besondere Weise mit Ovid auseinandergesetzt und hierzu Texte, Geschichten oder Gedichte geschrieben.

     Wie die Menschen, die die Beiträge geschrieben sind, auch die Ergebnisse sehr unterschiedlich. Mal kritisch, politisch, poetisch, alltäglich oder schlicht. Man kann als Leser das Buch nicht einfach herunterlesen, dazu fordert es von dem Leser zu viel. Man muss sich selbst mit den einzelnen Beiträgen mal mehr oder weniger auseinandersetzen, sich damit beschäftigen und für sich selbst bewerten. So kommt es auch, dass mir persönlich nicht jeder dieser Beiträge zugesagt hat, auch habe ich mich bei manchem gefragt, was dieser mit Ovid zu tun hat. Andere dagegen haben den Punkt, direkt auf den ersten Blick erkennbar, getroffen. Natürlich ist auch wieder ein – wenn auch recht kurzes – Gedicht von Burkhard P. Bierschenck dabei, der mich schon mit seinem eigenen Gedichtband begeistern konnte. [...] Im Anhang findet man die Kurzbiografien aller Autorinnen und Autoren. In der hinteren Klappbroschur kann ein passendes Lesezeichen herausgetrennt werden.

     Fazit: Die Anthologie ist ein Buch, das zum Stöbern, Finden und Schmökern einlädt. Die Beiträge dagegen regen die Emotionen an, laden zum Nachdenken ein und beschäftigen den Leser u. U. auch noch eine Weile. Von daher ist das Buch ein ganz besonderes Werk, dem man einige Zeit widmen sollte, man wird darin entdecken können.

 

(Carmens Bücherkabinett, 5. Januar 2017)

Es hat Sinn, zweitausend Jahre nach dem Tod von Ovid die Mitglieder des PEN-Zentrums deutschsprachiger Autoren im Ausland – einst Deutscher PEN-Club im Exil – einzuladen, zu den berühmten Metamorphosen zu schreiben, lebte doch der Dichter im Exil, eine wenig bekannte Tatsache. Zusammen mit den Herausgebern präsentieren sich in dieser Anthologie 40 Beiträger zum Thema.Wie der Leser im Vorwort erfährt, ist es nicht genau bekannt, warum Ovid exiliert wurde, außerdem, dass sein Verbannungland Rumänien war. Nun ergibt sich neue Relevanz: „Bis ins 20. Jahrhundert sah man in Ovid in erster Linie den Verfasser der Metamorphosen. Dann gab das Zeitgeschehen den Klageliedern des Exilierten eine neue grausame Brisanz . . .“ (10) Ovid stehe am Anfang der Exilliteratur, so Alioth und Oeser, die in der Folge Texte der Autoren zu den Themen Trennung und Entwurzelung zusammenstellen, immer unter dem alles beherrschenden Titelzitat „Alles wandelt sich, nichts vergeht.“ (11) Da es unmöglich ist, alle Beiträge zu erwähnen, müssen einige Beispiele genügen.

      Eine berührende, ja schockierende Geschichte aus der Migration trägt Renate Ahrens bei.  Irène Bourquin schreibt einen ausgezeichneten Text von Exil und Metamorphosen des Salvador Dali. Am Beispiel von Narziss und Echo liefert M. Dean einen Essay über die Liebe – die sich wandeln wird. Mit Franz Hohlers Dialektdichtung erreicht die vorliegende Sammlung nach einem Drittel Seitenumfang einen ersten Höhepunkt. Wunderbar liest sich die Mythe von Daedalus und Ikarus auf Schwyzerdütsch; könnte man doch den Autor seine Ovid-Nachdichtung vortragen hören: „d’Luft het ne treit!“ Und am Schluss: „är het sine Kunscht verfluecht / Und het d Lych uf der Insle begrabe, wo sithär Ikaria heisst.“ (66-67) Gabriela Jaskulla gibt sich mit ihrem „Rumänischen Halali“ humorvoll, düster, genial – ein weiterer Höhepunkt. Marko Martin brilliert mit einem Essay zu Verwandlungen und Mutationen nach 9/11 und aktualisiert so die „alte Geschichte.“ Wie als Antwort darauf erklingt K. Merz’ Strophe, „ . . . Stoisch dreht sich / die Erde vorwärts / um ihren großen / glühenden Kern.“ (107) Susanna Piontek erzählt davon, wie sie als Kind Ovid kennen lernte. Als ein Anderer kehrt Utz Rachowski nach politischer Haft und Ausbürgerung zurück: Schweigen als Verwandlung. In Form von Gedichten liefert Lutz Rathenow seine „Verwandlungsgeschichte.“ (117) In Axel Reitels Schreckenstext über Gewalt im Gefängnis steht: „Alles wiederholt sich,“ (126) so die Idee des Wandelns hinterfragend, denn ein Gewalttäter löst den anderen ab. Teresa Raiz Rosa thematisisert eine Verwandlung, die angesichts politischer Widrigkeiten nichts genützt hat: Gesichtsoperation! Bei Heinrich Schneeweiss scheint die Ovidlektüre noch in trübsten Zeiten Aufhellung in die eigenen, traurigen Gedichte einzubringen. Von der Verwandlung von Leben in den Tod durch Krebs berichtet Verena Stössinger. Die Wandlungskatastrophe Syrien erscheint bei Leander Sukov. In dreizehn poetischen Prosastücken zeigt Elisabeth Wandeler-Deck, wie ein Verwandeln auch ein Verwandern sein kann, ein Wenden eine Wende, eine Abgewendete, „das Mädchen als Rind“ (179) – in einem weiteren Höhepunkt des Bandes kunstreich die Peripetie ans Ende ihrer Dichtung stellend.  Zuletzt schreibt Sebastian Weirauch über das allerletzte Ende, wenn die Sinne sich wandeln, verwirren und aufhören, zu sein. – Außer diesem einen stehen noch weitere zwei Dutzend Texte zur Auswahl.

      Welch glänzende Sammlung! Die meisten Einträge sind durch erneute Ovid-Lektüre  angeregt. Titelzitate aus den verschiedenen Büchern der Metamorphosen erscheinen häufig. Obwohl die Herausgeber die Autoren alphabetisch angeordnet haben, reihen sich die Einträge wie verschwistert aneinander. Eine Stimme löst inspiriert die vorhergehende ab, und es fügt sich alles nahtlos in ein sinnvolles Ganzes. So viele verschiedene Arten der Verwandlung oder Veränderung, schicksalhaft oder alltäglich -- ein erstaunliches Buch!

      Die Herausgeber haben einen wunderbaren, auch handlichen, schönen Band zusammengestellt. Es ist höchst empfehlenswert, diese Sammlung zu erwerben, denn die Lektüre lohnt sich unbedingt. Man stellt sich vor, sie würde Ovid selbst erfreuen.

                                                                                                              (Irmgard Hunt, TRANS-LIT2, Frühjahr 2016)

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