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presse - rezensionen

Leland Bardwell: Mutter eines Fremden. Roman. Aus dem Englischen von Hans-Christian Oeser. München: C. H. Beck, 2004.



Der Punkt, an dem die Beanstandungen heute anzusetzen haben, hat sich verschoben. Es lässt sich nicht länger darüber diskutieren, ob etwas adäquat übersetzt ist, wie sehr oder eben nicht es sich vom Original unterscheidet, es geht nicht mehr um Werktreue: weil das, was einem inzwischen an Übersetzungen zugemutet wird, in vielen Fällen einfach indiskutabel schlechtes Deutsch ist. Fehlerhafte Grammatik, falsche Ausdrücke, verbogene Redewendungen, umständliche Satzkonstruktionen, ungeschickte Formulierungen.

      Damit klar wird, wovon hier die Rede ist, reicht ein Blick in die Übersetzung des Romans Mutter eines Fremden von Leland Bardwell, die Hans-Christian Oeser zu verantworten hat. Nach sechs Seiten zuckt man das erste Mal zusammen: "Sollte, was sie so lange im hintersten Winkel ihres Gehirns verborgen hatte, jetzt etwa der Gerüchteküche Futter geben?" Sollte, wer öfter übersetzt, die Redensarten seiner Sprache nicht besser kennen? Aber weiter. Auf ein und derselben Seite greift Oeser, ohne jedes Gespür für den angebrachten Tonfall, mal zu altertümelnden Begriffen ("ein jegliches Geschöpf"), mal zum schnoddrigen Alltagsjargon der Gegenwart ("stinknormal"). Und da ihm diese Nummer zu gefallen scheint, spielt er sie gerne und oft: "Jetzt ist die Kacke aber am Dampfen" und "geruhst du" ist ein anderes Beispiel. Man kann ihn dabei nicht einmal des Stilbruchs bezichtigen, da so etwas wie ein Stil bei ihm gar nicht existiert. Bloß ungelenke Aneinanderreihungen mehr oder minder verkorkster Konstruktionen. Statt des passenden Ausdrucks nimmt er häufig den daneben liegenden, der eben nicht stimmt, und schon ist der ganze Satz im Eimer, von der Logik ganz zu schweigen. "Was für einen Unsinn wir Menschen verzapfen. Wenn es umgekehrt wäre, wären wir nicht die Krone der Schöpfung." Wie: "umgekehrt"? Wenn der Unsinn die Menschen verzapfte?

      Ungelenk zerrt er Anglizismen über den Teich, zerrt am Satzbau herum und verzerrt die Verständlichkeit. "Angela erschien, klapperdürr, in Shorts und Sandalen gekleidet und aufgrund der Kälte kränklich wirkend." An Eleganz ist so etwas schwer zu überbieten. Oeser versucht es trotzdem: "[...] aber den Adrenalinstoß, den sie beide erlebt hatten, als sie sich das letzte Mal liebten, konnte er auch nicht vergessen." Dass ein des Deutschen kaum mächtiger Übersetzer mit diesen Stümpereien nicht spätestens am Lektor gescheitert ist, lässt nur zwei Deutungen zu: es gab keinen Lektor, oder der Lektor war - aus welchen Gründen auch immer, Unfähigkeit, Böswilligkeit, Feigheit - nicht in der Lage, korrigierend einzugreifen: dann sitzt er auf dem falschen Platz. Vielleicht hat er sich auch davon irreleiten lassen, dass Oeser irgendwann einmal mit dem Europäischen Übersetzerpreis "Aristeion" ausgezeichnet worden ist. Das wiederum zeigt, was solche Preise wert sind.

      Das wirklich Schlimme aber ist, dass solche Schandstücke den wenigsten noch auffallen. Sie lesen es, ohne sich etwas dabei zu denken. Niemand wäre so dumm und kaufte sich für teures Geld angeschlagenes Geschirr oder Kleider, die Risse aufweisen oder schlichtweg verschnitten sind. Aber gegen Bücher mit kaputten Sätzen hat kaum einer etwas einzuwenden, die lässt man sich sogar von Elke Heidenreich als "Lesen!"swert ans Herz (!) legen - was gilt schon Kultur? Seitenweise geborstene Sprache, an der man sich das Hirn verletzt: und trotzdem gibt es Leser zuhauf, die nach der Lektüre nicht die geringste Schramme aufweisen hinter ihrer Stirn. Was für ein Schluss lässt sich daraus ziehen?

      Wenn es auf Qualität offenbar nicht ankommt, wenn die Masse bereitwillig schluckt, was an Minderwertigem an sie verfüttert wird, warum sollten sich die Verlage da die Mühe machen und auf Niveau achten? Das Geschäft funktioniert doch auch so. Von Gárcia Lorca steht die Werkausgabe bei Insel immer noch in Enrique Becks Poesiealbum-Versen herum.


(Ingrid Mylo, Literaturblatt, April/Mai 2004)

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