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presse - artikel

Thomas Göttinger

 

Übersetzer muss mit einem Buch leben können


Hans-Christian Oeser beherrscht die Kunst, den 'Sound' der Bücher zu treffen

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Hans-Christian Oeser als Austauschkünstler in Fronberg

SCHWANDORF. Der Mann hat gerade einen Bestseller ins Deutsche übersetzt: den mit dem Pulitzer-Preis ausgezeichneten Roman "Die bekannte Welt" von Edward P. Jones. Doch von Hans-Christian Oeser dürften hierzulande allenfalls eine Handvoll Spezialisten des Literatur- und Verlagsgeschäftes gehört haben. Offensichtlich ist es Übersetzer-Schicksal, für eine breite Öffentlichkeit unbekannt, um nicht zu sagen "anonym" zu bleiben. Dabei sind sie es doch, die Weltliteratur überhaupt erst möglich machen, wie etwa José Saramago bemerkte. Wer von uns könnte schon "Moby Dick" im Original lesen oder "Schuld und Sühne" oder eben "Die bekannte Welt"? Höchste Zeit also, Übersetzern mehr Aufmerksamkeit zu schenken.

Da trifft es sich gut, dass Hans-Christian Oeser, 1950 in Wiesbaden geboren und seit 25 Jahren in Irland zuhause, derzeit als "Artist in Residence", als Austauschkünstler, im "Oberpfälzer Künstlerhaus" weilt. Oeser ist, wie im Gespräch schnell deutlich wird, Übersetzer mit Leib und Seele und sehr viel Leidenschaft. Literaturübersetzer wohlgemerkt, was ein gewaltiger Unterschied ist zu jemandem, der beispielsweise Geschäftsbriefe von einer Sprache in die andere überträgt. Kommt es bei Literatur doch nicht alleine auf den Inhalt an, sondern vor allem auch auf den Ton, in dem ein Text gehalten ist. Diesen "Sound" zu treffen ist eine hohe Kunst, und Oeser scheint sie zu beherrschen.

Es ist ja bei weitem nicht nur Jones, den er vom Englischen ins Deutsche übertragen hat. Unter den Autoren, mit denen er bislang zu tun hatte, finden sich eine ganze Reihe illustrer Namen. Arthur Conan Doyle etwa, der Schöpfer des Sherlock Holmes, mit dem auch Oesers Übersetzerlaufbahn begann. Dann Thomas Hardy, Brendan Behan, Joan Aiken, F. Scott Fitzgerald, Muriel Spark, Patrick McCabe, für dessen Übertragung von "Der Schlächterbursche" Oeser 1997 den europäischen Übersetzerpreis "Aristeion" erhalten hat, und nicht zuletzt Ian McEwan, der gerade mal wieder von der Kritik gefeiert wird.

Zu all diesen Literaten hatte und hat Oeser einen Draht. Denn das muss schon sein: Die Literatur, die man übersetzt, müsse einem liegen, sagt er. Mit Krimis beispielsweise könne er wenig anfangen, und deshalb werde er wohl kaum je einen übersetzen. "So ein Buch ist immer für drei Monate ein Lebensabschnittsgefährte", so Oeser, "mit dem muss man leben können, Tag für Tag und auch nachts." Da sind "Beziehungsprobleme" zweifellos so ungefähr das Letzte, was ein Übersetzer brauchen kann. "Im Grunde genommen wird von uns eine gewisse 'feminine Qualität' verlangt", gibt er einen weiteren Einblick in die Psychologie seines Handwerks, was wohl heißen soll, dass ein sich Ein- und Unterordnen, ja eine gewisse Selbstaufgabe unabdingbar sind. Es geht eben immer um den Autor, nicht um den Übersetzer. "Andererseits glaube ich aber doch, dass jeder Übersetzer seine eigene Handschrift hat", fährt Oeser fort. Der These vom "unsichtbaren Übersetzer" will er nicht so einfach folgen.

Nimmt man die Bezahlung als Maßstab, dann bekommt das Wort vom "unsichtbaren Übersetzer" plötzlich noch eine ganz andere Bedeutung. Manche Putzfrau verdient da nämlich mehr. Zwischen zehn und 22 Euro bekommt Oeser pro Seite. Für einen Roman wie "Die bekannte Welt" braucht er im Schnitt drei Monate. Das Buch hat 448 Seiten, was deutlich mehr sein dürfte als die ursprünglichen Manuskriptseiten, die als Abrechnungsgrundlage dienen. Reich wird man in diesem Beruf also nicht. Andererseits ist die Bezahlung schon wieder golden im Vergleich dazu, wie viel Honorar etwa die überwiegende Mehrheit der Autoren erhält.

"Fließbandarbeit" sei deshalb nötig, so Oeser, wolle man wenigstens einigermaßen auf einen grünen Zweig kommen. Die Steuerbefreiung für Kulturschaffende in Irland helfe darüber hinaus auch. "Das macht das Überleben wesentlich leichter", sagt er, auch wenn die im Vergleich zu Deutschland höheren Lebenshaltungskosten diesen Vorteil schnell aufheben dürften. Doch der "Ehren-Ire" Oeser klagt nicht. Er hat sich diesen Beruf ausgesucht, bewusst dafür entschieden, und wenn man sich eine Stunde lang mit ihm unterhalten hat, gewinnt man schließlich auch den Eindruck, dass er ihn um nichts auf der Welt aufgeben möchte. Warum auch? Auf seiner Homepage zitiert er Goethe: "Und so ist jeder Übersetzer anzusehen, dass er sich als Vermittler dieses allgemein geistigen Handels bemüht, und den Wechseltausch zu befördern sich zum Geschäft macht. Denn, was man auch von der Unzulänglichkeit des Übersetzens sagen mag, so ist und bleibt es doch eins der wichtigsten und würdigsten Geschäfte in dem allgemeinen Weltwesen." Nur das ist den wenigsten klar.

 

(Mittelbayerische Zeitung, 12. Oktober 2005)

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