presse - artikel
Thomas Göttinger
Vom Leiden eines Übersetzers
Hans-Christian Oeser ist zur Zeit Gast im Oberpfälzer Künstlerhaus
MZ SCHWANDORF. Nein, "Saturday", den aktuellen Bestseller von Ian McEwan, hat Hans-Christian Oeser nicht ins Deutsche übersetzt. Dennoch dürfte der Übersetzer Oeser maßgeblichen Anteil daran haben, dass McEwan zwischenzeitlich auch auf dem deutschen Buchmarkt eine ganz große Nummer ist.
Nachdem sich zunächst Harry Rowohlt und Christian Enzensberger an den Texten des Briten versucht haben, übernahm der 1950 in Wiesbaden geborene, aber seit rund einem Vierteljahrhundert in Dublin lebende Oeser den Job. Er übertrug unter anderem Erfolge wie "Schwarze Hunde", "Liebeswahn" oder "Amsterdam" in seine Muttersprache - Bücher, die den Ruf McEwans hierzulande überhaupt erst begründeten. Oder sollte das am Ende gar keine Rolle spielen? Sollte der Literaturübersetzer tatsächlich nicht mehr sein, als ein beliebig auswechselbarer Dienstleister?
Es ist ein Kreuz mit diesem Beruf, und Hans-Christian Oeser weiß das natürlich ganz genau. Mag schon sein, dass Übersetzer so etwas wie Weltliteratur überhaupt erst möglich machen, wie zuletzt José Saramago formulierte, dass sie selbst formidable Literaten sein müssen und nachgerade begnadete Sprachkünstler - so richtig wahrgenommen, gar gewürdigt oder geschätzt werden sie deshalb freilich noch lange nicht. Das muss man aushalten können.
Oeser, 1997 mit dem europäischen Übersetzerpreis "Aristeion" ausgezeichnet und in diesem Herbst als erster deutschsprachiger "Artist in Residence" im "Oberpfälzer Künstlerhaus" in Schwandorf zu Gast, kann das. Auch sonst scheint Leidensfähigkeit unabdingbar für diesen Beruf zu sein. "Im Grund genommen wird von uns eine gewisse 'feminine Qualität' verlangt", gibt er augenzwinkernd einen Einblick in die Psychologie seines Handwerks, was dann wohl bedeuten soll, dass ein sich Ein- und Unterordnen, ja eine gewisse Selbstaufgabe einfach dazu gehören. Es geht immer um den Autor, nie um den Übersetzer.
"Andererseits glaube ich aber doch, dass jeder Übersetzer seine eigene Handschrift hat", fährt Oeser fort. Der These vom "unsichtbaren Übersetzer" will er deshalb nicht so ohne weiteres folgen. "So ein Buch ist immer für drei Monate ein 'Lebensabschnittsgefährte'", sagt er, "mit dem muss man leben können, Tag für Tag und auch nachts."
Eine intime Beziehung, zweifellos. Aber wo hört der Autor auf und fängt der Übersetzer an? Wo liegt die Trennlinie? Darf ein Übersetzer beispielsweise Fehler des Autors in seiner Übersetzung korrigieren? Oeser meint ja, das dürfe er und hat es selbst dieses Jahr getan. Es ging um den hochgelobten, mit dem Pulitzer-Preis ausgezeichneten Roman "Die bekannte Welt" von Edward P. Jones, den Oeser übersetzt hat.
Der Titel bezieht sich auf die berühmte Weltkarte des Kartographen Martin Waldseemüller aus dem frühen 16. Jahrhundert. Jones verpasste ihm in seinem Buch allerdings den Vornamen Hans. Oeser fiel der Fehler auf, und er korrigierte ihn. Für Oeser war dank E-Mail-Kontakt mit Jones schnell klar: Das ist nichts weiter als ein Recherchefehler, ein Lapsus.
Der Übersetzer muss also auch Redakteur sein. Und im Falle Oesers ist er außerdem Autor. Vornehmlich von Sachbüchern, einem "Oscar Wilde ABC" oder auch einer Kurzbiografie über James Joyce, die demnächst bei Suhrkamp erscheinen wird. Dass er dabei als Autor sogar noch weniger verdient als als Übersetzer, mag da schon wieder tröstlich wirken. Irgendwie.
(Mittelbayerische Zeitung, 4. November 2005)