presse - rezensionen
Ralph Ellison: Der unsichtbare Mann. Roman. Aus dem Englischen von Georg Goyert. Vollständig neu überarbeitet von Hans-Christian Oeser: Berlin: Aufbau, 2019.
Nicht wirklich eine neue Übersetzung. Sie basiert auf einer alten Übersetzung von Georg Goyert. Das war ein sehr bekannter Übersetzer der Nachkriegszeit, und da ist heute schon vieles ältlich, und insofern wurde sie grundlegend überarbeit von Hans-Christian Oeser, und zwar so, dass wenige Sätze eigentlich komplett erhalten geblieben sind. Das kann man sich vorstellen wie ein Haus, das nicht komplett abgerissen wird, also die Fassade bleibt stehen, aber innen ist es entkernt und neu aufgebaut worden. Ganz neu wäre sicherlich konsequenter gewesen, aber immerhin wurde doch die Sprachschicht der vierziger Jahre entfernt. Das ist frisch und zeitgemäß, insofern eine eindeutige Verbesserung, die auch an der Zeit war, denn es gibt sicherlich auch Gründe für eine Aktualität des Buches
(Mario Scalla, hr2-kultur, 16. April 2019)
Die Frage war hier also viel eher, wie man eine zeitgemäße deutsche Ausgabe wieder lieferbar machen kann. Es gab eine Übersetzung aus den fünfziger Jahren von Georg Goyert, der ein namhafter Übersetzer der Nachkriegszeit war, und die ist bis heute auch in vielerlei Hinsicht wirklich gültig und verdienstvoll, hat aber auch ein paar Probleme mit sich gebracht. Es gab dort Auslassungen und auch zum Beispiel Verharmlosungen, in Bezug auf rassistische Schimpfwörter etwa, und darum bin ich sehr glücklich, dass es gelungen ist, die Erben von Georg Goyert zusammenzubringen mit dem Literaturübersetzer Hans-Christian Oeser. Sie haben ihm sozusagen die alte Übersetzung anvertraut, damit er sie grundlegend überarbeiten und auch aktualisieren kann.
(Nele Holdack, Die Literaturagenten, Radioeins, rbb, 12. Mai 2019)
Der knapp 700 Seiten starke Roman ist einer der wichtigsten Klassiker der US-amerikanischen Literatur und machte seinen Autor bei Erscheinen 1952 schlagartig berühmt. Die vorliegende, stark überarbeitete Ausgabe der deutschen Übersetzung von 1995 (damals
hier nicht angezeigt, vermutlich wegen des immens hohen Preises) überträgt das immer noch aktuelle Werk über Rassismus und das erstarkende Selbstbewusstsein der Farbigen - eines der Lieblingsbücher Barack Obamas - in eine zeitgemäße Sprache und wurde ergänzt um ein Nachwort des Autors zur Entstehung. Es ist die Geschichte eines namenlosen jungen Schwarzen, der von seinen Mitmenschen einfach nicht wahrgenommen wird und daher
scheitert - zuerst als hoffnungsvoller Collegestudent im Süden, dann in New York als Fabrikarbeiter und als eigentlich hochbegabter Redner für eine politische Organisation - und der schließlich "unsichtbar" in einem Kellerloch haust und sein Leben erzählt. Größere Bibliotheken mit ausgebauten Belletristikbeständen sollten unbedingt zugreifen.
(Uschi Licht, ekz,10. Juni 2019)
In mancher Hinsicht mutet Ellisons Hauptwerk, der 1952 erschienene "Invisible Man", wie ein Gegenprojekt zu Wrights Roman an; auch dieser Markstein der afroamerikanischen Literatur ist nun in überarbeiteter deutscher Fassung wieder aufgelegt worden. Wo Wright auf Naturalismus setzte, arbeitet Ellison mit Surrealismus und ätzender Ironie, flicht durch den ganzen Roman die verschränkten Leitmotive von Blindheit und Unsichtbarkeit. Seinen brillanten und mit allen rhetorischen Wassern gewaschenen Ich-Erzähler stellt er explizit afroamerikanischen Charakteren wie Bigger entgegen, die seiner Ansicht nach "ohne jede intellektuelle Tiefe waren".
(Angela Schader, Neue Zürcher Zeitung, 18. August 2019)
Der Roman wurde zwei Jahre nach seinem Erscheinen von Georg Goyert unter dem Titel Unsichtbar (Ellison 1954) ins Deutsche übersetzt. In einer Rezension wurde vermerkt, dass der Autor ein "Negerschicksal ganz mit den Mitteln höchster Erzählkunst der weißen Rasse" erzähle (zit. in: Hettche 1995). Ralph Ellison hat in seinem epochalen Roman jedoch keineswegs nur mit erzählerischen Mitteln von weißen Autorlnnen gearbeitet, sondern eine Vielzahl
von Stilmitteln, wie z. B. Oral History und die musikalische Form des Blues eingesetzt (vgl. Callahan 2004a), die allerdings in der Übersetzung zugunsten eines flüssigen, den Lesegewohnheiten des Zielpublikums entgegenkommenden Stils in den Hintergrund traten. Die Erstübersetzung wurde - mit neuem Titel, nunmehr Der unsichtbare Mann - 1995 neu aufgelegt und schließlich 2019 vom
Übersetzer Hans-Christian Oeser stark überarbeitet, wobei dieser sich viel stärker als Goyert an den Stil und sprachlichen Duktus des Originals anlehnte.
Georg Goyert (1884-1966), der Erstübersetzer, arbeitete aus dem Englischen, Französischen, Italienischen und Niederländischen und übersetzte insgesamt 135 Werke von knapp 60 verschiedenen Autorlnnen, darunter James Joyce, Virginia Woolf, Aldous Huxley, D. H. Lawrence etc. Obwohl er durch seine Übersetzungen zahlreiche Autorlnnen erstmals einem deutschen Publikum näherbrachte, blieb er zeitlebens ein diskreter Kulturvermittler, der in der Öffentlichkeit kaum in Erscheinung trat. Hans-Christian Oeser (geb. 1950), der
die überarbeitete neue Version schuf, übersetzt aus dem Englischen und ist auch schriftstellerisch tätig. Er ist durch Lesungen aus seinen Übersetzungen und eigenen Texten, durch Vorträge und Interviews, aber auch durch soziale Medien sowie eine eigene Homepage (URL: Oeser Website) öffentlich präsent und sichtbar.
Betrachtet man diese beiden Übersetzungen und Übersetzer, so scheint die Sache - folgt man Lawrence Venutis (1995) Vorstellung von Sichtbarkeit - eindeutig: Eine erste Übersetzung, die nicht so sehr die Eigenheit und damit Fremdheit des Originals in den Blick nimmt, sondern einen eher gut lesbaren Text zum Ziel hat und damit gewissermaßn das Übersetzt-Sein des Textes verschleiert;
eine andere Ubersetzung, die - auch wenn sie keine völlige Neuübersetzung darstellt - in vielen Fällen versucht, den sprachlichen Duktus des Originals wiederzugeben und somit als Übersetzung sichtbar ist. Ein erster Übersetzer, der trotz seiner Produktivität in der Öffentlichkeit kaum in Erscheinung tritt, während der zweite Übersetzer, Hans-Christian Oeser, medial präsent ist und auch
als "respecter of difference" (Oeser 1997) gewissermaßen das Sichtbarmachen von Fremdem propagiert.
(Klaus Kaindl: Sichtbarkeit(en) der Übersetzung - Sichtbarkeit(en) der Übersetzerlnnen. Überlegungen zur theoretischen Fundierung eines
schleierhaften Konzepts. In: Birgit Neumann (Hrsg.): Die Sichtbarkeit der Übersetzung. Zielsprache Deutsch. Tübingen: Narr Francke Attempto Velag, 2021. S. 35-36)