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presse - rezensionen

F. Scott Fitzgerald: Die Schönen und Verdammten. Roman. Aus dem Amerikanischen übersetzt von Hans-Christian Oeser. Mit einem Nachwort von Kyra Stromberg. Zürich: Diogenes Verlag, 1998.

 

 

Im Sommer 1920 erschien in New York ein Roman, mit dem sein Autor, ein verkrachter Princeton-Student und frustrierter Soldat, ein einziges Zielverfolgte: Er wollte mit dem Geld, das ihm das Buch einbringen würde, eine Frau heiraten, die ihn abgewiesen hatte, weil sie befürchtete, er könne sie nicht standesgemäß unterhalten. Die Rechnung ging auf: „Diesseits vom Paradies“ machte F. Scott Fitzgerald über Nacht reich, berühmt und zum literarischen Wunderkind. Er heiratete die verwöhnte Zelda Sayre und bezog mit ihr eine Suite im NewYorker Plaza Hotel.

      Der kecke Jung-Star hatte dem Buch einen Zettel beigegeben mit der Erklärung, ein Schriftsteller schreibe immer nur für die Jugend seiner eigenen Generation und für die Kritiker der nächsten. Die (autobiographische) Hauptfigur, ein melancholischer Literat, der zu egoistisch ist, um glücklich sein zu können, machte den Roman in den „roaring twenties“ (in denen, wie Gertrude Stein sagte, „jeder sechsundzwanzig war“) zu einem Kultbuch. Fitzgeralds zweiter Roman „DieSchönen und Verdammten“ (1922), ehrgeiziger und anspruchsvoller, ist viel zu lang. Auch hier ist der autobiographische Hintergrund unübersehbar: Anthony Patch und seine Frau Gloria, die Protagonisten, sind Francis Scott und Zelda in ihren ersten Ehejahren – Kinder und Opfer zugleich des glitzernden „jazz age“. Sie können sich die Illusion ihrer Liebe nicht bewahren und taumeln, meist stark alkoholisiert, ratlos auseinander. Der gebildete Müßiggänger Anthony wartet solange darauf, die Millionen seines Onkels zu erben, bis er enterbt wird und aus der Bahn gerät. Mit Gloria inszeniert er, was nach außen wie die Traumehe zweier Glückspilze aussieht, allmählich aber zu einem makabren Auflösungsspektakel verkommt. Das happy end am Schluß wirkt aufgesetzt.

      „Die Schönen und Verdammten“ war als einziger von F. Scott Fitzgeralds Romanen noch nicht ins Deutsche übersetzt worden. In diesem Jahr sind gleich zwei Übersetzungen erschienen: Renate Orth-Guttmann hat das Buch für den Manesse Verlag, Hans-Christian Oeser für Diogenes übertragen. Ein Vergleich der beiden Fassungen ist lehrreich. Am auffälligsten ist die unterschiedliche Tonlage. Oeser entschied sich für eine in der Regel dicht am Original bleibende Wiedergabe, was ein gewisses Maß an Umständlichkeiten und eine den zeitlichen Abstand betonende Diktion mit sich bringt; als Gesamteindruck bleibt eine gewissenhafte Korrektheit zurück. Orth-Guttmann dagegen erlaubt sich semantische und stilistische Freiheiten, sie geht mit der Vorlage oft großzügig um und scheut sich nicht, für eine gelungene Formulierung das Prinzip der Texttreue in den Wind zu schlagen. Das führt zu einer Originalität und Leichtigkeit des Tons,die das Buch angenehm lesbar macht.

      Wenn es bei Oeser zum Beispiel heißt, „sie waren dankbar für den warmen, balsamischen Duft, welcher über der mit einmal goldenen Stadt lag“ (the warm balm that lay upon the suddenly golden city), übersetzt Orth-Guttmann: „sie freuten sich an dem warmen Hauch, der über der plötzlich vergoldeten Stadt lag“; und wenn jemand bei Oeser „nie wieder imstande sein würde, eine Menschenseele so zufriedenstellend zu langweilen und zu drangsalieren“ (so satisfactorily bore and bully a human soul), würde er in der anderen Übersetzung „nie wieder einmenschliches Wesen so wunderbar anöden und schikanieren können“.

      Beispiele dieser Art könnten darauf hindeuten, daß sich die beiden Übersetzungen auch in ihrem Verständnis des Originals unterscheiden: Die eine sähe in Fitzgeralds Roman ein repräsentatives Kapitel realistisch grundierter amerikanischer Moralgeschichte, die andere ein Beispiel psychologisierender Charakterzeichnung.

      Während Oesers wort- und satzgetreue Übertragung das deskriptiv-realistische Element von Fitzgeralds Roman in den Vordergrund rückt, vermittelt Orth-Guttmanns beschwingtes Nachempfinden der verkaterten Stimmung von flappers und golden boys etwas vom Zeitgeist der Zwanziger und von den surrealistischen Elementen des Buches; beide Übersetzer könnten sich vermutlich vorstellen, daß sich der Autor auf deutsch etwa so ausgedrückt hätte, wie sie es tun.

      Literarische Übersetzungen, das zeigt sich hier besonders deutlich, gehen fast immer von einer bestimmten Vorstellung vom Stil des Ausgangstextes aus. Renate Orth-Guttmanns Übertragung findet für den jugendlichen Überschwang und die stilistischen Anleihen des jungen F. Scott Fitzgerald (Dreiser!) vor allem im deutschen Satzbau die besseren Entsprechungen. Oeser dagegen vergrößert durch seine Genauigkeit auch die Schwächen des Originals: das Phrasenhafte, die forschen Adjektive, die Klischees und Verallgemeinerungen, das seichte Moralisieren. Wenn er overwritten mit „schwülstig“ übersetzt, ist das sicher besser als das „kunstvoll geschrieben“ bei Orth-Guttmann, aber mit einem „Gefühl des Aasens“ (für sense of waste) kann man weniger anfangen als mit dementsprechenden „Gefühl der Wertlosigkeit“, und manchmal läßt sich von Adäquatheit bei Oeser kaum noch sprechen: he had the story typed heißt nicht „er hatte die Geschichte abgetippt“, sondern „er hatte sie tippen lassen“.

      „Die Schönen und Verdammten“ mögen zwar undiszipliniert und arm an ästhetischen Ideen sein, wie Edmund Wilson, Scott Fitzgeralds Freund und Förderer, behauptete – der Roman eignet sich trotzdem gut als Einstieg in das Werk des Autors. Von den beiden deutschen Fassungen hat die Manesse-Version unter anderen Vorzügen den, daß sie mit hilfreichen Anmerkungen versehen ist.

 

(Helmut Winter, Frankfurter Allgemeine Zeitung, 13. Oktober 1998)

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