presse : interviews
Martin Gierczak
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Gastdozent und Übersetzer Hans-Christian Oeser im Interview
Der Literaturübersetzer Hans-Christian Oeser ist im Wintersemester 2021/22 Gastdozent am Institut für Geschichtswissenschaft und Literarische Kulturen. Er lehrt zu Fragen der Übersetzungstheorie und -praxis. Die Dozentur wird vom Deutschen Übersetzerfonds im Rahmen des Programms NEUSTART KULTUR der Bundesbeauftragten für Kultur und Medien gefördert.
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Herr Oeser, was unterscheidet aus Sicht einer Übersetzung das Englische und das Deutsche? Was macht das Besondere der jeweiligen Sprache aus?
Um ein konkretes Beispiel zu nennen: Das Deutsche unterscheidet stärker zwischen Fremdwörtern und Alltagswörtern. Etwa in der Medizin: Es gibt ein deutsches Wort, das die Ärztin dem Patienten gegenüber benutzt, ansonsten gibt es die medizinischen Fach-begriffe. Das heißt, wir haben es mit getrennten sprachlichen Sphären zu tun. Im Englischen durchmischt sich das alles kunterbunt, auch im Alltagssprachgebrauch. Das Englische schöpft dabei aus einem viel größeren Wortschatz. Es speist sich aus den verschiedensten Quellen, neben dem Angelsächsischen Altnor-disch, Griechisch, Lateinisch und Französisch.
Bitte nennen Sie noch ein Beispiel.
Das Deutsche ist flexibler in der Syntax. Das ist für die Übersetzerin oder den Übersetzer ein Problem: Wo tue ich was hin? Was wird dadurch besonders markiert, hervorgehoben, betont - ohne deswegen den ursprünglichen Sinn zu verfälschen. Der deutsche Satzbau bietet viel Freiheit. Man kann etwa sagen: „Morgen fahre ich nach Hause.“ „Ich fahre morgen nach Hause.“ „Nach Hause fahre ich morgen.“ Und jedes Mal wird etwas anderes betont: dass man morgen und nicht heute fährt; dass man selbst es ist, der fährt; dass man nach Hause fährt und nicht irgendwo anders hin. Diese Möglichkeit bietet das Englische so nicht. Das muss man während des Übersetzens bei jedem Satz neu entscheiden. Und das merkt man übrigens auch bei schlechten deutschen Übersetzungen – dass die englische Syntax zu stark beibehalten oder nachgeahmt wird.
Gibt es Dinge, die man nicht übersetzen kann?
Jede Sprache hat Wörter – und nicht nur Wörter, sondern auch Wendungen, Ausdrücke, Idiome –, die nur in dieser Sprache existieren und für die es anderswo keine wirklichen Äquivalente gibt, zum Beispiel das hochromantische deutsche Wort „Waldeinsamkeit“: „Nach diesem stressigen Jahr brauche ich erst mal eine Woche Waldeinsamkeit.“ Es ist schwer, das in anderen Sprachen auszudrücken. Da muss dann irgendeine Umschreibung gefunden werden.
Welches englische Wort ist besonders schwierig ins Deutsche zu übertragen?
Ich nenne mal etwas ganz Einfaches: „Are you all right?“ Da sagen inzwischen alle Deutschen: „Sind Sie ok?“ Aber eigentlich müsste man etwas anderes dafür finden. „Fehlt Ihnen etwas?“ „Kann ich Ihnen helfen?“ „Wie geht es Ihnen heute?“ und so weiter. Diese knappe Formulierung – wie auch überhaupt das Englische viel knapper ist – ist also ziemlich schwierig. Ich finde es allerdings schade, dass auch in der Literatur mittlerweile vieles einfach importiert und nicht mehr im eigentlichen Sinne übersetzt wird.
Stören Sie Anglizismen?
Nein, da habe ich eine ganz entspannte Haltung. Alles, wofür es im Deutschen noch keinen Ausdruck gibt, kann aus dem Englischen eingeführt werden, warum auch nicht? Häufig werden englische Wörter mit einer neuen Bedeutung versehen; das zeigt, wie kreativ im Deutschen mit neuen Ausdrücken umgegangen wird – so bei dem sehr brauchbaren Wort „Handy“. Etwas ganz anderes ist es, wenn zum Beispiel Politikerinnen oder Politiker gar kein deutsches Wort mehr finden, obwohl es das gibt. Schrecklich die Phrase „Da haben Sie einen Punkt.“ Das ist dann aber nicht in erster Linie eine Frage von Anglizismen, sondern von sprachlicher Trägheit. Aber ich bin nicht für Sprachpurismus. Auch da sollte man ausgewogen sein. Island geht sehr streng mit der Sprache um. Es gibt eine Kommission, die fremdsprachige Begriffe ins Isländische übersetzt. Der in fast allen Sprachen identische „Computer“ heißt auf Isländisch „tölva“ – eine Neubildung aus den Worten für Zahl (tala) und Wahrsagerin (völva).
Ok, zur nächsten Frage …
… wenn ich vorher noch eine Sache ergänzen dürfte: Im Kontext politisch korrekter Sprache können Anglizismen mitunter irritierend wirken. Ich habe vor einer Weile „Tage ohne Ende“ von Sebastian Barry übersetzt, einen historischen Roman, in dem häufig Wörter wie „Indians“ und „tribe“ vorkommen, bei denen wir heute gesellschaftlich sensibler sind. Wie geht man mit einem solchen Original um? Statt wie ich „Indianer“ und „Stamm“ zu schreiben, benutzte eine Übersetzerkollegin auch im Deutschen das Wort „tribe“ – aber damit ist nichts gewonnen.
Da Sie vorhin den Computer genannt haben: Lässt sich das Übersetzen automatisieren?
Beim jetzigen Stand der Dinge schafft es die Maschine nicht. Die Maschine kann zum Beispiel noch keine Ambiguitäten erkennen. Sie hat kein Gespür für Stil und Register. Eine weitere Gefahr sehe ich darin, dass es sich, nicht zuletzt aus Zeit- und damit aus Kostengründen, einbürgern könnte, auch Literatur mit Google Translate oder DeepL zu übersetzen und dann nur noch Post Edit zu machen. Das blockiert die menschliche Kreativität und macht mental abhängig von der Vorlage der Maschine. Man wird dann irgendwann keine anderen Wege mehr beschreiten können als die, die einem die Maschine vorgegeben hat.
Warum übersetzen Sie bevorzugt die Literatur Irlands?
Das hat mit meinen Lebensumständen zu tun. Ich lebe seit 1980 in Dublin und hatte deshalb schon früh direkten Zugang zur irischen Literaturszene und zum irischen Literaturbetrieb. Und ich habe ein Faible für irische Literatur entwickelt.
Wodurch unterscheiden sich Romane aus Irland von anderen englischsprachigen?
Irische Literatur zeichnet sich, von Schauplatz und Themen einmal abgesehen, vor allem dadurch aus, dass sie oft wortgewaltiger, spielerischer, teilweise auch humorvoller ist. Und natürlich ist es auch als gesellschaftliches Phänomen interessant, dass eine so kleine Insel so viele bedeutende Schriftsteller und Schriftstellerinnen hervorgebracht hat, man denke an George Bernard Shaw, Oscar Wilde, James Joyce, William Butler Yeats oder den Lyriker Seamus Heaney. Und dass sie gerade mit einer Welle junger, aufstrebender Autorinnen wie Sally Rooney, Eimear McBride oder Caoilinn Hughes aufwartet.
Wenn Sie von Wortgewalt sprechen, an wen denken Sie da?
Bei dem eben erwähnten Sebastian Barry, von dem ich mittlerweile sechs Romane übertragen habe, merkt man, dass er wie viele seiner Landsleute mit Sprache spielt und ein sehr metaphernreiches Idiom benutzt. Das ist um einiges gewagter als der gewöhnliche Umgang mit Sprache. Und darin unterscheidet er sich von so manchen Autoren und Autorinnen, die Creative Writing-Kurse belegt haben und häufig im Rahmen des dort Gelernten verbleiben. Und aus genau diesem Rahmen bricht ein Autor wie Sebastian Barry immer wieder heraus. In „Tage ohne Ende“ geht es um zwei junge Iren in den USA, die in den Kriegen gegen die indigenen Völker Amerikas und im amerikanischen Bürgerkrieg kämpfen und sich ineinander verlieben. Die Geschichte wird auf eine Weise erzählt, die alle Regeln der englischen Grammatik über Bord wirft und in einem Tempo entlanghastet, wie es die Erinnerung oder Phantasie des Erzählers gerade eingibt.
Vielen Dank!
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Neben irischer Literatur hat Hans-Christian Oeser auch Schlüsselwerke amerikanischer Literatur wie F. Scott Fitzgeralds „The Great Gatsby“ oder „Meine geheime Autobiographie“ von Mark Twain übersetzt. Auch George Orwells „Animal Farm“ hat er neu übertragen. Als Herausgeber verantwortete er unter anderem eine englischsprachige Ausgabe von Ernest Hemingways „The Old Man and the Sea“. Die Gastdozentur ist eine Kooperation zwischen ihm, dem Deutschen Übersetzerfonds und Prof. Dr. Emer O’Sulllivan vom Institute of English Studies.
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(Leuphana Facetten. Newsletter der Leuphana Universität Lüneburg, 2. November 2021)