top of page

presse : interviews

Hans-Christian Oeser über Claire Keegan

 

 

Heute kommt der Übersetzer Hans-Christian Oeser bei uns zu Wort. Wir hatten ihn schon einmal zu Gast. Seinerzeit sprachen wir über Maeve Brennan. In Vorbereitung auf meinen irischen Aperitif bei stories! kamen mir einige Fragen zu irischer Literatur und Claire Keegan in den Sinn. So habe ich mich an den Übersetzer gewandt. Hans-Christian Oeser ist die deutsche Stimme zu Claire Keegan und Sebastian Barry. Er hat bereits 34 irische Autorinnen und Autoren ins Deutsche übertragen.

​

Klappentexterin: Was zeichnet in Deinen Augen die irische Literatur aus? Was macht sie so besonders? Denn irische Bücher haben mich nie enttäuscht. Eine Buchhandelskollegin meinte einmal, die Iren hätten in ihrem Wasser etwas Magisches, dass sie so erzählen können.

 

Hans-Christian Oeser: Am Wasser dürfte es weniger liegen, auch wenn die Geographie eines Landes, hier einer zwischen Irischer See und Atlantischem Ozean gelegenen regenreichen Insel am Rande Europas, seine Kultur und damit auch seine Literatur stark beeinflussen dürfte. Vielmehr an der spezifischen Geschichte Irlands als „Gegenpol“ zur größeren und mächtigeren Nachbarinsel. Irland als koloniales Objekt war mehr als achthundert Jahre lang – und ist es trotz der 1921 errungenen staatlichen Eigenständigkeit auf gewisse Weise noch immer – das sei es exotisierte oder dämonisierte „Andere“ Großbritanniens, weswegen Samuel Beckett auf die Frage „Alors, Monsieur Beckett, vous êtes anglais?“ antworten konnte: „Au contraire!“

      Da ist die sprachlich und mental bis in die Gegenwart hineinwirkende keltische Vergangenheit mit ihren von christlichen Mönchen aufgezeichneten Mythen und Legenden, da ist die lange gepflegte mündliche Erzähl- und Gesangstradition, da ist der ausgeprägte Hang zu erzählender oder beschreibender Poesie, da ist der Ehrgeiz, den Engländern zu beweisen, dass der Kolonisierte erfinderischer mit der englischen Sprache umgehen kann als der Kolonisator.

      Abgesehen von oft überbordendem Wortwitz strahlen viele irische Romane und Erzählungen eine humane Grundwärme aus, getragen von einem tiefen Verständnis für die Problematik der eigenen Figuren. Den Autoren und Autorinnen ist deutlich die Lust an Sprache, Bild und Ausdruck anzumerken; auch der Humor kommt nicht zu kurz. Das im internationalen Vergleich überproportionale Interesse an der Literatur lässt sich durchaus als Sublimierung politischer Bestrebungen deuten, auch wenn es Ende des neunzehnten, Anfang des zwanzigsten Jahrhunderts zu parallelen Erneuerungsbemühungen im Sinne der kulturellen und der politischen Unabhängigkeit kam (Irische Renaissance). Schaut man sich einen Roman wie The Colony (2022, dt. Das Habitat, 2024) von Audrey Magee an, stellt man rasch fest, dass das koloniale Erbe angesichts der fortgesetzten Teilung der Insel noch längst nicht überwunden ist.

​

Wie bist Du zur irischen Literatur gekommen?

​

Meine ersten Übersetzungen galten der Lyrik und dem Sachbuch (Wikinger, Päpste etc.). Als ich mir in den achtziger Jahren, bereits in Irland lebend, eine freiberufliche Existenz als Literaturübersetzer aufbauen wollte, kam der Anruf eines Kollegen, der mir die Übersetzung der Autobiographie Under the Eye of the Clock (1987, dt. Unter dem Auge der Uhr, 1989) von Christopher Nolan abtreten wollte. Es folgten der Nordire Bernard MacLaverty und Brendan Behan. Inzwischen bilden Bücher von fast 35 irischen Schriftstellerinnen und Schriftstellern Titel den Grundstock meiner übersetzerischen Tätigkeit.

​

Vor welchen Herausforderungen stehst Du als Übersetzer? Denn irisches Englisch ist ja schon anders als britisches oder amerikanisches Englisch.

​

In sprachlicher Hinsicht besteht das Problem bei der Übersetzung irischer Literatur oft darin, dass die ursprüngliche Sprache Irlands, das nur noch von geringen Teilen der Bevölkerung gesprochene keltische Gälische, nicht nur in Form von Einsprengseln Eingang in den englischen Text findet, sondern nicht selten auch die englische Syntax und Semantik selbst beeinflusst (daher der Begriff „Hiberno-Englisch“). Immer wieder stellt sich die Frage, wie damit umzugehen ist. Eine einfache Eindeutschung, sprich: eine Nivellierung, verbietet sich von selbst, weil damit die Existenz unterschiedlicher Sprachschichten negiert und die sprachliche Kolonialisierung durch England (die Unterdrückung der irischen Sprache) im Deutschen wiederholt und verfestigt würde. Einfache Antworten lassen sich nicht geben, „schwierige Stellen“ müssen von Fall zu Fall gelöst werden.

​

Hast Du Claire Keegan persönlich kennenlernen können?

​

Persönlich kennen wir uns nicht erst seit den Anfängen meiner Übersetzungstätigkeit „in ihren Diensten“ im Jahre 2004; begegnet waren wir uns bereits im Tyrone Guthrie Centre in Annaghmakerrig, Co. Monaghan. Claire Keegann ist eine sehr nachdenkliche Frau mit genauer Beobachtungsgabe, der man anmerkt, dass sie nicht an Oberfächlichkeiten interessiert ist, sondern – wenn man es so pathetisch formulieren darf – stets auf der Suche nach der „Wahrheit“ der Person. Im persönlichen Gespräch wie auf dem Podium formuliert sie wortgewandt, prägnant und pointiert. Ihr literarisches Medium, die Kurzgeschichte (bis hin zur Novelle) verlangt ja auch, mehr noch als der Roman, den unverstellten Blick auf das Individuum und seine eigentlich immer prekäre Lage.

​

Die Klappentexterin dankt für das Interview wie für die zahlreichen Übersetzungen!

 

(Die Klappentexterin, Das gute Buch im Internet, 6. Juli 2024)

​

bottom of page