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presse : interviews

Talking about Maeve Brennan mit Hans-Christian Oeser

 


Ich erinnere mich zu gern an die erste Erzählung, die ich in dem Band New York, New York von Maeve Brennan gelesen habe. Es war geradezu eine Offenbarung. Und ich ganz im Glück, je mehr ich von der Schriftstellerin las. So zählt Maeve Brennan mittlerweile zum engen Kreis meiner Lieblingsautorinnen. In diesem Jahr wäre sie 100. Jahre alt geworden. Zu diesem besonderen Anlass hat der Übersetzer ihrer Werke, Hans-Christian Oeser, eine Gesamtausgabe im Steidl Verlag herausgegeben. Groß ist meine Freude, dass die wunderbare Sammlung nun am Freitag, 16. Juni, im Literarischen Quartett vorgestellt wird. Dann dürfte sie aus dem Kreis der hierzulande unbekannten Autorinnen strahlend hervortreten. Für euch öffne ich den feinen Schuber in den nächsten Tagen. Vorher kommt der Übersetzer in einem Interview zu Wort und nimmt euch mit in die literarische Welt Maeve Brennans.

Klappentexterin: Ihnen haben wir alle ins Deutsche übersetzten Bücher von Maeve Brennan zu verdanken. Herzlichen Dank dafür! Erinnern Sie sich noch an Ihre erste literarische Begegnung mit der Journalistin und Schriftstellerin?


Hans-Christian Oeser: Man übersetzt ja so allerlei im Laufe seines beruflichen Lebens – Schönes, Mittelprächtiges, in meinem Fall Gott sei Dank kaum Schlechtes, aber an dieser Stelle kann ich nicht umhin, die vorliegende Ausgabe, die die von Ihnen genannten Einzelbände mit Geschichten und Kolumnen von Maeve Brennan zusammenfasst und ergänzt, mit großer Genugtuung und unverhohlenem Stolz als literarische Großtat zu bezeichnen! Es fühlt sich fast so an, als wäre ich der Erste, der sämtliche Erzählungen einer noch unbekannten, sagen wir, Katherine Mansfield ins Deutsche gebracht hat. Und als unbelesener Feld-, Wald- und Wiesenübersetzer bin ich natürlich nur durch Zufall auf diese großartige irisch-amerikanische Autorin gestoßen. 2001 drückte mir ein befreundeter Verleger, der Deutsche Edwin Higel von New Island Books in Dublin, ein schmales Bändchen in die Hand und befahl mir unumwunden: "Lies!" Das war The Visitor, eine zu Maeve Brennans Lebzeiten unveröffentlichte Novelle, deren Typoskript Christopher Carduff erst nach ihrem Tod im Jahre 1993 im Archiv der University of Notre Dame entdeckt hatte. Es war ihr erster literarischer Versuch, vermutlich in ihren Zwanzigern verfasst. Ich las und war begeistert von der fein ziselierten Sprache, vom Grundthema der Einsamkeit und der emotionalen Unbehaustheit (auch und gerade im häuslichen Leben!), von dem feinen Gespür für menschliche Schwächen und menschliche Abgründe.

Meine wunderbare Lektorin Claudia Glenewinkel vom Steidl Verlag ließ sich überzeugen, und so nahm das Heil seinen Unlauf … Als die Frankfurter Allgemeinen Zeitung unter der Überschrift "Jeder Satz ein Juwel" eine geradezu hymnische Rezension von Maxim Biller abdruckte, fühlte ich mich natürlich bestätigt und darin bestärkt, die Erschließung von Maeve Brennans literarischem Terrain beiderseits des Atlantiks für ein deutsches Lesepublikum fortzusetzen.

Mir scheint, dass die Autorin hierzulande nicht sehr bekannt ist. Selbst in den Literaturkalendern konnte ich keinen Eintrag zu Maeve Brennans 100. Geburtstag finden. Woran mag das wohl liegen?


Mit anderen Worten: Hat dieser Versuch einer Erschließung Erfolg gehabt? Ja und nein. Die Kritik hat alle bislang erschienenen Bücher von Maeve Brennan einhellig sehr, sehr positiv aufgenommen. Man hörte offenbar den ganz eigenen Ton heraus, selbst im Deutschen. Dass die enthusiastischen Besprechungen nicht in höheren Verkaufszahlen resultierten, mag unter anderem daran liegen, dass wir in Deutschland die Erzählung als literarische Gattung nicht in demselben Maße wahrnehmen wie die Amerikaner oder die Iren (Irland gilt nicht zu Unrecht als das Land der Short Story), sondern lieber 900-Seiten-Romane verschlingen, statt jeden Abend eine Geschichte oder, wie es sich Michael Krüger wünscht, ein Gedicht zu lesen. Gleichzeitig muss man der Gerechtigkeit halber hinzufügen, dass der Autorin das gleiche Schicksal – Unbekanntheit – auch in Irland und in den USA beschieden war. Als gefeierte Mitarbeiterin des New Yorker, in dem sie fast alle ihre Dubliner und New Yorker Erzählungen und ihre New Yorker Stadterkundungstexte veröffentlichte, hatte sie eine breite Leserschaft, doch gegen Ende ihres Lebens – verarmt, psychisch krank, obdachlos – war sie fast vollständig vergessen. Auch dort ist ihre eigentliche Stunde erst jetzt gekommen, mit verschiedenen Neuausgaben, einer Biographie, Theaterstücken, Gedenkartikeln zu ihrem 100. Geburtstag am 6. Januar 2017 und dergleichen.

Zu diesem besonderen Jubiläum haben Sie im Steidl Verlag eine Gesamtausgabe mit Maeve Brennans Werken herausgegeben. Wie kam es zu dem schönen Projekt?


Es war mein Anliegen, die bisherigen Anstrengungen zu bündeln. Die Erzählungen zeichnen sich unter anderem ja auch dadurch aus, dass sich Maeve Brennan über Jahrzehnte hinweg immer wieder mit denselben Figuren befasste, etwa mit dem Ehepaar Derdon, dem Ehepaar Bagot und – in den autobiographischen Texten – mit der eigenen Familie, den Brennans, oder aber mit einem elitären Klüngel amerikanischer Neureicher und ihren irischen Dienstmädchen in der Wohnanlage Herbert’s Retreat bei New York. Dabei ist zweierlei erstaunlich: dass sie sich in einem gegebenen Jahr bald diesem, bald jenem Figurenensemble zuwandte, ohne die betreffenden Details jemals durcheinanderzubringen; und dass sie jeweils an einem bestimmten Zeitpunkt der Entwicklung einsetzte und die dazugehörige Vergangenheit oft erst später hinzukomponierte. Sie muss also ständig mit den von ihr geschaffenen Figuren gelebt haben, ein innerer Kosmos!

In den Einzelbänden hatte ich die Texte bereits nach der chronologischen Reihenfolge der darin geschilderten Ereignisse anordnen können, sodass die Leserin etwa die geradezu unbarmherzig geschilderten "Szenen einer Ehe" vom ersten Kennenlernen des Paares bis zum Tod der Frau nach vierzig Jahren ehelicher Zwangsgemeinschaft verfolgen kann und die Einzeltexte sich zu einem Erzählzyklus aus einem Guss, zu einem organischen Ganzen, zu einem "Roman in Geschichten" fügen. Was also lag näher, als das ja nicht sonderlich umfangreiche Werk in zwei Teilen anzubieten, die so auch die transatlantische Zerrissenheit der Autorin widerspiegeln: "Dubliner Geschichten" und "New Yorker Geschichten". Dem Göttinger Verleger Gerhard Steidl bin ich sehr dankbar, dass er sich zu dieser zweibändigen Gesamtausgabe im Schmuckschuber bereit erklärt hat.

Als Übersetzer beschäftigen Sie sich bestimmt auch mit den Autoren und Autorinnen, die Sie übersetzen. Was können Sie uns Interessantes aus dem Leben von Maeve Brennen berichten?


Nur eine kleine Anekdote. Offensichtlich hatte Maeve Brennan einen sehr bissigen Humor, der sich auch gegen sie selbst richten konnte. So verfasste sie 1959, als sich ein Leser an den New Yorker wandte, um sich zu danach erkundigen, ob mit weiteren Erzählungen von ihr zu rechnen sei, eine mit dem Namen ihres Chefredakteurs William Maxwell gezeichnete Antwort: "Es tut mir aufrichtig leid, dass ich der Erste bin, der Ihnen mitteilen muss, dass unsere arme Miss Brennan verstorben ist. […] An einem Fastnachtsdienstag hat sie sich mit Hilfe eines kleinen Handspiegels am Fuße des Hauptaltars der St. Patrick’s Cathedral in den Rücken geschossen. […] [Der irische Schriftsteller] Frank O’Connor war, wo er nachmittags gewöhnlich ist: Er saß in einem Beichtstuhl und gab vor, Priester zu sein. […] Wir werden nie genau wissen, warum sie tat, was sie tat, aber wir glauben, weil sie betrunken und todunglücklich war. Sie war ein sehr feiner Mensch, ein sehr echter Mensch, sie hatte zwei Beine, Hände, eben alles." Das ist, wie Anne Enright in ihrer Einführung schreibt, sehr geistreich und sehr traurig.

Wie würden Sie die Sprache von Maeve Brennan bezeichnen? Sie spricht ja schon mit einer sehr eigenen Stimme.


Für Maeve Brennans souveränen literarischen Stil sind immer wieder Begriffe wie "schnörkellose Eleganz", "ätzende Schärfe", "marmorne Härte", "stählerne Präzision" verwendet worden. Allerdings paart sich ihr unbestechlicher Blick mit einer gewissen Zärtlichkeit für die oft armselige Existenz ihrer Figuren. Da fragt sich ein männlicher Protagonist, und ich darf einen meiner Lieblingssätze zitieren: "Wann hatte all dieser Gehorsam begonnen, und wer hatte den vorgeschriebenen Weg ausersehen, den Männer und Frauen widerspruchs- und meist auch klaglos gingen? Vor allem aber, was für ein Grund war genannt worden, der diesen Gehorsam erzwang, und weshalb war dieser Grund nicht auch ihm genannt worden, so wie allen anderen?" Das hat die Prägnanz eines Franz Kafka. Und an Intensität, Intimität und Konzentration auf das komplizierte Innenleben des Durchschnittsmenschen (den es so also gar nicht gibt!) übertrifft Maeve Brennan meines Erachtens sogar noch James Joyce’ Erzählsammlung Dubliner. Die Schönheit ihrer Sprache ist das Antidot zur Verzweiflung ihrer Figuren.

Die Klappentexterin dankt Hans-Christian Oeser für das Interview und wünscht dem Übersetzer weiterhin Glück dabei, auf solch wunderbare Literatur zu stoßen.

(Die Klappentexterin, Das gute Buch im Internet, 15. Juni 2017)

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