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presse : interviews

N. N.

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Interview zu der Ausstellung "... eines der wichtigsten und würdigsten Geschäfte ..."

 

 

Wie kam es zu dem Beruf, der Berufung? (Zweisprachigkeit, Kindheitserlebnisse, entscheidende Begegnungen)

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Mit dem literarischen Übersetzen begann ich während eines Auslandsjahres als Fremdsprachenassistent in Großbritannien, das war 1978. Es waren erste Versuche von Gedichtübertragungen, zu denen ich aufgrund des „hautnahen“ Kontakts mit der englischen Sprache und einer gewissen kulturellen Öffnung angeregt wurde. Als diese ersten Proben, Gedichte von Adrian Mitchell, in Zeitschriften abgedruckt wurden, erwachte der Ehrgeiz, es auch weiterhin mit dieser unendlichen diffizilen, delikaten und aufregenden, wenn auch finanziell wenig lohnenden Kunst zu versuchen.

      Nach eineinhalb Jahren als Studienreferendar in Berlin ging ich wieder ins Ausland, diesmal als DAAD-Lektor nach Dublin, wo ich neben meiner eigentlichen Berufstätigkeit die ersten Prosaübersetzungen anfertigte, Erzählungen von Arthur Conan Doyle und Thomas Hardy, aber auch Sachbücher. Nach dem Abschluß meines dreijährigen Lektorats war ich im Grunde genommen arbeitslos und hielt mich mit allerlei Unterrichtsverpflichtungen über Wasser. Da nahm ich mir vor, den Beruf des Literaturübersetzers ernstlich anzugehen. Aber erst fünf Jahre und zwei Kinder später gelang es mir, wenigstens einen zweiten deutschen Verlag aufzutun, was im Vor-Internet-Zeitalter vom Ausland aus nur mit Mühe zu bewerkstelligen war.

      Dann aber ging es Schlag auf Schlag. Im Laufe der letzten zwei Jahrzehnte habe ich einhundert Bücher übersetzt und weitere vierzig herausgegeben (Anthologien, Fremdsprachentexte und dergleichen). Dazu gehören auch aus dem Englischen ins Deutsche und aus demn Deutschen ins Englische übersetzte Gedichtbände. Im Rückblick denke ich, daß ich diesen Beruf oder zumindest einen verwandten, einen, der mit dem „schöngeistigen“ Buch zu tun hat, von Anfang hatte ergreifen wollen oder hätte ergreifen sollen und daß sowohl meine Lehrerausbildung als auch meine kurzlebige Hochschullaufbahn eher Umwege waren. Freilich vermisse ich am eher einsamen Übersetzerberuf die täglichen Kontakte mit Schülern, Studenten und Kollegen.

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Wie „stimmen Sie sich ein“? (Essen, Musik, lesen?)

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Ich fürchte, auch wenn ich während des Übersetzungsprozesses mitunter klassische Musik höre, stimme ich mich gar nicht sonderlich ein, sondern beginne – spät am Morgen – mit eiserner Disziplin, gegen die ich mit Freuden verstoße, sobald ein Anruf kommt, ich Lust auf eine Zigarette habe oder Mails zu beantworten sind. Mit anderen Worten, ich würde mehr als meine (im Schnitt) fünf Seiten täglich bewältigen, wenn meine Disziplin tatsächlich eisern wäre und ich nicht an so vielen anderen Projekten beteiligt wäre, die nicht unmittelbar mit dem eigentlichen Übersetzen zu tun haben.

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Wie beschreiben Sie den Vorgang des Übersetzens?

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Für mich sind Übersetzer Wissenschaftler und Künstler zugleich. Wissenschaftler sind sie als „Textrezipienten“, als Philologen, die eine genaue Lektüre des ausgangssprachlichen Werkes vornehmen, Künstler als „Textproduzenten“, die ihrerseits ein originales Sprachkunstwerk schaffen, bei dem zwar alle Einzelelemente a priori festgelegt sind: im Falle der erzählenden Prosa etwa Handlung, Schauplatz, Atmosphäre, Figurenpersonal, Themen, Motive und ja, auch die sprachliche Gestalt, in der all dies ausgedrückt wird, bei der das Vorhaben selbst jedoch: die Wiederhólung des Werkes als Wíederholung, literarische Erfahrung, sprachliche Sensibilität, Stilsicherheit usw. erfordert. Der gestalterische Aspekt des Übersetzens beschränkt sich also zwar auf das Sprachliche, aber nur in diesem Sprachlichen kann sich das im Original Gestaltete verwirklichen, kann wirken. In der Übersetzung muß das Original „fortleben“ und „nachreifen“ (Walter Benjamin).

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„Berufsmotto“. Was bedeutet Übersetzen für Sie? Was möchten Sie erreichen? Wann sind Sie zufrieden?

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Mein „Berufsmotto“ stammt von Johann Wolfgang von Goethe und lautet: „Und so ist jeder Übersetzer anzusehen, daß er sich als Vermittler dieses allgemein geistigen Handels bemüht, und den Wechseltausch zu befördern sich zum Geschäft macht. Denn, was man auch von der Unzulänglichkeit des Übersetzens sagen mag, so ist und bleibt es doch eins der wichtigsten und würdigsten Geschäfte in dem allgemeinen Weltwesen.“ So steht es auch auf meiner Homepage. In der Tat glaube ich fest daran, daß wir Literaturübersetzer für den „Großen Grenzverkehr“ sorgen, daß es ohne uns keine Weltliteratur gäbe, daß die Kultur der verschiedenen Völker und Länder ohne unsere Bemühungen isolierte Inseln im Großen Meer der Unwissenheit wären.

      Mit jedem Buch, von dessen literarischen Qualitäten ich überzeugt bin (und nicht alle von mir übersetzten Bücher haben literarische Qualitäten, wie ich sie mir wünsche), hoffe ich zur Bereicherung und Erweiterung eines kulturellen Fundus beizutragen. Dies gilt auch dann, wenn ein Lyrikbändchen nur dreißig Leser findet. Voraussetzung ist allerdings, daß die Übersetzung den eigenen höchsten Ansprüchen genügt. Zufrieden bin ich also dann, wenn ich das Gefühl habe, mein Bestes geleistet zu haben, den richtigen Ton gefunden zu haben, etwas ästhetisch Ansprechendes geschaffen zu haben. Kein Manuskript wird mit der Haltung „Es wird schon gehen“ abgegeben, was natürlich nicht bedeutet, daß die Übersetzung tatsächlich gelungen wäre.

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Erlebnisse beim Übersetzen (knifflige Fälle), mit Autoren, auf Reisen, mit Verlegern, etwas besonders Schönes oder Lustiges

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In Erinnerung ist mir eine Lesereise mit dem Iren Jamie O’Neill, schwuler Autor von „Im Meer, zwei Jungen“ (2003), einem wunderbaren Roman über die Liebe zweier Knaben im Jahr des Osteraufstands 1916. Im Verlauf dieser Reise besuchten wir auch Berlin. Der im eher provinziellen Galway wohnende Romancier geriet, von mir begleitet und geführt, in den ausgelassenen Trubel der Christopher Street Parade und konnte es nicht fassen, daß Hunderttausende von Schwulen und Lesben, darunter Polizisten, Feuerwehrmänner, Lehrer usw., ihr Sosein in aller Öffentlichkeit frei und ungehindert zur Schau tragen konnten. Die Fülle, die Masse der Leiber erschlug ihn.
 

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(Beteiligung an der Ausstellung "... eines der wichtigsten und würdigsten Geschäfte ...". Literaturpreisträger der Alfred Toepfer Stiftung F.V.S. und ihre Übersetzer in der Galerie im Georgshof in der Geschäftsstelle der Alfred Toepfer Stiftung F.V.S. Hamburg vom 31. März bis 4. Juni 2010)

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