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presse - rezensionen

George Orwell: Farm der Tiere. Eine Märchenerzählung. Aus dem Englischen von Hans-Christian Oeser. Stuttgart (Reclam) 2021.

 

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»Farm der Tiere« hat Ulrich Blumenbach für Manesse, Simone Fischer für Nikol, Heike Holtsch für Anakonda, Hans-Christian Oeser für Reclam und Lutz-W. Wolff für dtv neu übersetzt. Die Erzählung handelt vom Aufstand der Tiere auf Mr. Jones Herrenfarm und wie dieser von den Schweinen gekapert und in ein Angstregime überführt wird. Die Unterschiede in der Übersetzung beginnen schon auf der Ebene der Namen, denn das an den Stalin-Vertrauten Molotow angelehnte Propagandaschwein Schwatzwutz heißt beim ehemaligen Dumont-Verleger Lutz-W. Wolff und bei Reclam-Übersetzer Hans-Christian Oeser wie im Original Squealer, Simone Fischer benennt ihn sprechend mit Petzer und Ulrich Blumenbach spielerischer Petzwutz. Ein bloßer Schwätzer, begründet Blumenbach seine Entscheidung, würde den realhistorischen Hintergrund – der Charakter ist nach Stalins Propaganda-Minister Stalin-Vertrauten Wjatscheslaw Michailowitsch Molotow gezeichnet – verharmlosen. (...)

       Blumenbach und mit kleinen Abstrichen auch Oeser sind die Einzigen, der den Mut besitzen, textlich zu variieren und den Rhythmus im deutschen Text nachzubilden. Das wird auch beim umgedichteten ersten Vers von »Tiere Englands« deutlich. Aus Orwells »Animal Farm, Animal Farm, Never through me shalt thou come to harm!« machen Blumenbach »Farm der Tiere, Farm der Tiere, Sterben will ich, eh ich kapituliere!« und Oeser »Farm der Tiere, Farm der Tiere, Auf dass ich dich niemals verliere!«. Fischer muss für ihren holpernden Reim »Farm der Tiere, lass es dir sagen, Niemals trifft dich durch mich ein Schaden!« die bedeutungstragende Anapher auflösen, Wolff gar auf den englischen Titel des Romans zurückgreifen, um seinen unglücklichen Vers »Animal Farm, Animal Farm, Durch mich kommst niemals du zu Harm!« zu retten. Noch deutlicher werden die Unterschiede, wenn man sich die erste Strophe des Loblieds auf Napoleon im Vergleich anschaut. (...)

       Lutz W.-Wolff macht sich gar nicht erst die Mühe, ein Reimschema nachzubilden, wenngleich man ihm zugute halten kann, dass er die unregelmäßige Struktur mit dem Bruch im dritten Vers hält. Blumenbach, Oeser und Fischer bilden die Reime nach, wobei Fischer das Schema a-a-b-c-c-c-b in ein neues Schema a-b-a-b-c-c-c-d überführt, ohne jedoch dadurch den finalen Reim auf Napoleon zu erhalten. Oeser und Blumenbach finden dafür deutlich elegantere Lösungen, wobei sich Oesers Text im Einstieg von der Vorlage stärker löst als Blumenbachs Version. (...)

       Insgesamt suchen alle Übersetzenden durch Wortwahl, Satzbau oder sprachlichen Markierungen eine eigene Version. Nicht allen gelingt das. Vor allem fällt die Inkonsistenz bei den eben noch gelobten Ausgaben von Manesse und Reclam ins Auge. Wo Blumenbach und Oeser übersetzen, sitzen Gisbert Haefs und Holger Hanowell so manche Herausforderung aus. Ihre Übersetzungen bewegen sich, wie auch beide Übersetzungen des ehemaligen Dumont-Verlegers Wolff, syntaktisch und lexikalisch nah am Original. Hier hätte man insbesondere von der Reclam-Ausgabe höhere Ansprüche erwarten dürfen.


(Thomas Hummitzsch, Orwell für die Massen, intellectures, 31. März 2021)

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