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presse - rezensionen

Rosenstock, Gabriel: Ein Archivar großer Taten. Ausgewählte Gedichte. Aus dem Irischen von Hans-Christian Oeser. Hörby: Edition Rugerup, 2007

 


Wer in Gabriel Rosenstocks Gedichten zu wandern beginnt, dem ergeht es manchmal wie jenem kleinen Mädchen, das nachts auf den rauschenden Bildschirm starrt: "Doch sie sah Schnee / Und in dem Schnee eine Giraffe, / Und über allem / Kreiste eine weiße / Eule". Der irische Lyriker durchleuchtet das scheinbar Vertraute und entdeckt darin überraschende Bilder.
"Ich öffne mein Gedicht den lichten Dingen" heißt es in einem seiner frühen Texte. Doch dann dreht er die Gedanken so lange hin und her, bis von den "lichten Dingen" nichts mehr übrig ist. Mit einer sympathischen Ironie holt er die irische Landschaft ebenso in seine Verse wie manch philosophischen Splitter. Dabei zeigen die Verse oft eine Nähe zur japanischen Dichtungstradition, aber Rosenstock schafft es, einen eigenen Ton daraus hervorzutreiben. Und wenn er nicht gerade schwere Genitivmetaphern wie das "Meer der Seele" oder den "Ozean der Leidenschaft" über die Seiten schiebt, sind die Gedichte spannend zu lesen. Leider ist die Ausgabe nicht zweisprachig gehalten -- so kann man als Leser nur erahnen, dass der Übersetzer Hans-Christian Oeser das "Zwitschern in fremden Zungen" gut ins Deutsche gebracht hat.


(Nico Bleutge, Stuttgarter Zeitung online, 14. Dezember 2007)


Humor tritt in der deutschsprachigen Poesie nicht selten als Albernheit und Clownerie auf, als billiges Juckpulver und blosse Zwerchfellreizung. Humor wird naserümpfend betrachtet, weil er sich angeblich nicht mit der Grübelei eines seriösen Gedichts vereinbaren lässt. Dass man dies anderswo nicht so sieht und Humor zur Hochform kultiviert hat, beweisen die Gedichte des Iren Gabriel Rosenstock. In stilsicherer Übersetzung hat ihn jetzt Hans-Christian Oeser, den man wohl als seinen hiesigen Entdecker würdigen darf, mit einem sehr hübschen Bändchen der Edition Rugerup vorgestellt.

Hier äussert sich kein Humor, der um den Effekt kurzen Gelächters buhlt. Mit feinsinniger Ironie und zuweilen hemdsärmelig derbem Scherz kommen Rosenstocks Gedichte daher. Unter der Lupe solchen Humors erscheint eine zuvor groteske Realität auf wundersame Weise von ihren Verknotungen und Verrenkungen befreit. Dem Alltag, den gewöhnlichen Fährnissen menschlicher Kommunikation, den bizarren Kleinigkeiten gilt Rosenstocks Aufmerksamkeit, oft lose verankert in irischer Mythologie und anverwandelt in ostasiatische Gedichtformen. Humor ist hier niemals Selbstzweck, sondern Zeugnis einer trotzigen Haltung dem Leben gegenüber.

In der Figur des Krishnamurphy, unter deren Maske etliche Gedichte geschrieben sind, verschmelzen die scheinbar gegensätzlichen Elemente von Ost und West. Krishnamurphy ist ein moderner Schelm, halb Narr und halb Weiser, der nonchalant durch Zeiten und Räume reist. Womöglich stellt er ein Alter Ego des Dichters selbst dar, der sich in dem köstlich tiefsinnigen "Interview" als "einen der Narren Gottes" bezeichnet? Am Ende der einmal mit komischer, einmal mit tragischer Geste zugespitzten Alltagssituationen steht eine das Leben bereichernde Überraschung. Da sieht die kleine Tochter im weissen Rauschen des Fernsehers eine Giraffe im Schnee, da führt das Schnarchen der Ehefrau auf direktem Weg in die Dichtung Rumis, da erinnern drei Obdachlose in der Bücherei an Bettelmönche. Es ist eine beinahe kindliche Unbekümmertheit, mit der Rosenstock die Arme ausbreitet, um alles ins Gedicht einzusammeln, so dass man gerne verzeiht, wenn einige wenige Gedichte auf eine etwas zu simple Lösung hinauslaufen. Überhaupt scheint Humor bei Rosenstock nichts anderes als eine überwundene Form der Trauer. Wehmütig und zugleich augenzwinkernd konstatiert der Dichter: "Ich öffne mein Gedicht allem, was ist, / was sein wird, was war, / was sein könnte. / Eine falsche Entscheidung." Es gelingt dieser reine Lobpreis nicht, weil ihm sofort ein Kondukt von Negationen auf den Fersen ist, so dass am Ende die Ernüchterung steht: "Ich öffne mein Gedicht erneut den lichten Dingen, / doch es gibt keine mehr." Wenn trotz allen Ausflügen ins Scheitern die Welt derart abgeklärt wahrgenommen werden kann, dann ist das ihrer Metamorphose in schwarzen Humor zu verdanken - der indes immer wieder tatsächlich die lichtesten Momente bereithält.


(Jürgen Brôcan, Neue Zürcher Zeitung, 4. März 2008)


Ein Licht leuchtet dem irischen Dichter Gabriel Rosenstock überall auf der Welt - immer dort, wo Türen für jedermann offen stehen - sei es im indischen Madras oder in des Dichters Geburtsort Kilfinane, in China oder in einem Iglu am Pol,. Als genauer Beobachter von Alltagssituationen filtert er Tragikomisches und Absurdes aus zwischenmenschlichen Beziehungen, sozialen Verhältnissen und Dingen. In konzentrierten Szenen gestaltet er das Groteske an der Realität. In der Rolle seiner Kunstfigur Krishnamurphy, ein moderner Nachfahre Till Eulenspiegels, in dem sich westliche Moderne und fernöstliche Kulturtradition mischen, versucht er sich als Zoowärter und Graffitiputzer, als Philosoph und Dichter, aber auch als Soldat in der Armee Dschingis Khans oder als Kriegsberichterstatter aus Bagdad. Was als umgangssprachlicher Dialog an der Oberfläche dahinzuplätschern scheint, geht in die Tiefe. Aus Abgründen steigen Kippfiguren wie der Engelhai auf; durch Gelächter bahnt sich das Grauen. Dennoch bleibt alles wie locker dahingeplaudert. In salopper Nachdenklichkeit verbergen sich Wahn, Kauzigkeit und Kummer. Von Heinrich Heine hat er die Spitzzüngigkeit und Schärfe, von Wilhelm Busch den boshaften Humor, von Shakespeares Limericks den Weltverstand, von Kurt Schwitters die Verspieltheit, von japanischen Haikus die Prägnanz erotischer Anspielungen.. Es ist eine seltsame, lesenswerte Sammlung, die der Herausgeber und Übersetzer Hans-Christian Oeser hier präsentiert. Als Gottesnarr, Schelm und Weiser zugleich kombiniert Rosenstock mit leichter Hand ostasiatische und europäische Gedichtformen und Motive, die einander mit Esprit kommentieren und bereichern. Gern greift das lyrische Ich zu orientalischer Lektüre. Die Flötentöne des Dichters Rumi übertönen sogar das Schnarchen der Frau im Gedicht "Schnarchen und Rumi". Boshafter Witz, sprichwörtliche Schlagfertigkeit und Bekenntnis zum Sinnenrausch des alten Persers gehen Hand in Hand.


(Dorothea von Törne, Welt online, 27. September 2008)
 


Ungeklärt bleibt allerdings, warum dieser Achivar großer Taten, der in einem Selbstportrait für das Temperament eines Schwanzlurchs stimmte, erst jetzt in ein deutschsprachiges Netz geriet. Der Verlagslektor, Herausgeber und Übersetzer Gabriel Rosenstock gilt als bedeutendster Vermittler englischer und fremdsprachiger Lyrik ins Gälische. Hilde Domin und Günter Grass hat er in die traditionelle Sprachkultur der Insel übertragen, Georg Trakl, William Butler Yeats und Peter Huchel, und in den vergangenen 30 Jahren mehr als ein Dutzend Gedichtbände veröffentlicht. Die Kollektion, die Hans-Christian Oeser für die "Edition Rugerup" ins Deutsche übersetzte, war nicht nur lang überfällig, sie macht auch hungrig auf mehr. Auf die vielen verückten Streifzüge im irischen Lager die er seinem heimatlosen Alltagsphilosophen "Krishnamurphy" zumutet. Auf die Stimme der Hingabe, ihr Bekenntnis zu Sinn und Sinnlichkeit, zu Lust und Leidenschaft in all ihren närrischen und erfüllenden Varianten. Am Werk ist immer auch der Entdecker von dunklen Löchern, die er mit Hilfe von ein wenig Magie aufhellt. Kleine ironische und selbstironische Einwände sind dem Gedichteangler dabei ebenfalls willkommen; mit dieser Ausbeute an nicht gefangenen Fischen und gelegentlich auch mit diesem fragenden Blick nach oben, was es mit dem nagenden Hunger an manchen Tagen noch alles auf sich hat.


(Tina Fibinger, die horen, Bd. 52, 2007, Nr. 228, S. 214-217)


Ohne über die gälischen Originale etwas sagen zu können, fiel positiv auf, wie unaufdringlich es dem Übersetzer gelang, die lautlichen Gleichklänge des Originals ins Deutsche zu retten.


(Bertram Reinecke, Lyrikzeitung & Poetry News, 03/2009)

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