presse : interviews
Jan Wiele
Irlands deutsche Stimme
Ein Gespräch mit Hans-Christian Oeser, dem gerade der Straelener Übersetzerpreis zugesprochen wurde
Ihr Lebenswerk als Übersetzer scheint fest mit Irland verbunden.
Ja, weil ich seit 1980 meinen Lebensmittelpunkt dort habe und inzwischen wohl auch den Ruf, für Irland zuständig zu sein. Es sind mittlerweile Bücher von 34 irischen Schriftstellern, die ich übersetzt habe; wenn man kleinere Veröffentlichungen zählt, fast hundert irische Namen.
Von dem 1955 in Dublin geborenen Sebastian Barry haben Sie schon fünf Bücher übersetzt und erhalten nun für „Tage ohne Ende“ (Steidl, 2019) den Preis des Europäischen Übersetzer-Kollegiums in Straelen. Was war die Herausforderung bei diesem Roman?
Barry hat darin seinen bisherigen Schreibstil, ein gepflegtes Englisch, aufgegeben. Er setzt hier einen unbedarften und ungebildeten Erzähler ein, der alle Regeln der englischen Grammatik bricht und eine Mischung aus American Drawl und Irish Brogue spricht. Ein Beispiel: ,,Why is John Cole not took his share?“ Wörtlich hieße das auf Deutsch: ,,Warum ist John Cole nicht seinen Anteil genehmt?“ Aber da würde sich natürlich jeder an die Stirn tippen.
Was also war zu tun?
Meine Lektorin Claudia Glenewinkel hat mich da aus einer translatorischen Depression gerettet. Sie riet mir, mich etwas vom Text zu lösen und einen eigenen Sound im Deutschen zu finden, was wir dann gemeinsam versucht haben.
„Tage ohne Ende“ ist eine Art Western um zwei homosexuelle Soldaten der amerikanischen Armee in den fünfziger Jahren des neunzehnten Jahrhunderts, die schließlich als Paar ein Sioux-Kind annehmen. Ein historischer Roman?
Nein, Barrys Fiktion beruht auf einem einzigen Satz seines Großvaters, es habe mal einen irischen Vorfahren namens Thomas McNulty gegeben, der nach Amerika auswanderte. Barry geht es nicht um historische Absicherung, eher darum, heutige Themen in andere Zeiten zurückzuversetzen. Im Folgeroman, den ich gerade übersetze, erzählt Winona, die Ziehtochter des schwulen Paares.
Bricht der Autor gezielt mit einer Tradition der rauhen amerikanischen ,,Frontier“-Erzählung?
Naja, es gibt schon unglaubliche Brutalität im Roman, aber auch Zärtlichkeit und wunderschöne Naturbeschreibungen. Das ist eine Schwierigkeit. Wie kann man sagen, dass man gerade einem den Skalp abgezogen hat, und dann: ,,Die Sonne schien herrlich“?
Kam Ihnen dieser Erzählstil manchmal disparat vor?
Es ist ein künstliches Idiom, so hat wohl niemand gesprochen. Ich habe eigentlich Angst vor dem Slang und bin sonst eher Anhänger einer ästhetisch wohlgeformten Prosa. Beim Übersetzen allgemein ist es so, dass man wohl nie im allertiefsten Sinne dem Original gerecht werden kann. Wir müssen deuten und deuteln, tappen aber manchrnal im Dunkeln.
(Frankfurter Allgemeine Zeitung, 7. April 2020)