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presse - rezensionen

Patrick Pearse: Der Rebell. Gedichte. Aus dem Englischen und Irischen und mit einem Nachwort von Hans-Christian Oeser. Berlin: Edition Rugerup, 2016.

 

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Vor hundert Jahren führte Patrick Pearse in Dublin den Osteraufstand an. Wer den Antrieb dazu verstehen will, sollte die Gedichte des danach von den Briten hingerichteten Lyrikers lesen. (...) Am 2. Mai 1916 wurde er von einem britischen Kriegsgericht zum Tode verurteilt, einen Tag später erschossen.

       Seine vier letzten Gedichte schrieb er in Haft, pikanterweise auf Englisch, obwohl der studierte Literaturwissenschaftler Pearse 1905 auf Gälisch zu dichten begonnen hatte. Als Sohn eines aus England stammenden Vaters und einer Irin war Englisch die Sprache seiner Kindheit gewesen, ehe er sich als Sechzehnjähriger der Gälischen Liga angeschlossen hatte und seit 1903 sogar eine gälische Zeitung herausgab, in der auch sein Debüt als Dichter stattfinden sollte. Das überlieferte lyrische Gesamtwerk von Pearse umfasst nur 36 Gedichte.

       Davon sind 28 in einem schönen Broschurband versammelt, den der Literaturwissenschaftler Hans-Christian Oeser pünktlich zum hundertsten Todestag von Pearse herausgegeben hat. Den von Oeser selbst erstellten Übersetzungen ist das jeweilige Original beigegeben: fünf gälische und 23 englische Gedichte, darunter vierzehn, die ursprünglich auf Gälisch geschrieben, von Pearse aber später selbst übersetzt worden waren. Die Entscheidung für die englischen Versionen als Grundlage der Übersetzung ins Deutsche ist gut begründet, sind es doch gleichsam die letzten von Pearse autorisierten Versionen, bei deren Übertragung ins Deutsche Oeser allerdings auch die gälischen Originale herangezogen hat. Dadurch weicht manche deutsche Fassung in Wortwahl und Rhetorik von der auf Englisch abgedruckten Vorlage ab. (...)

       Leider rechtfertigt Oeser seine Abweichungen vom englischen Text (einmal „Gesicht“, dann wieder „Blick“ für face; „Tod von fremder Hand“, obwohl das Original mit the death I shall die dies bestenfalls andeutet) nicht eigens, obwohl ein Blick auf das gälische Original diese Entscheidungen verständlich macht. Andererseits: Warum dann nicht gleich die gälische Erstfassung? Und hätte nicht das Versmaß strenger beachtet werden können, da Pearses’ reimfreie Dichtung die Übersetzung ohnehin erleichtert?

       Aber Oeser geht es um Tonfall und Bilderreichtum der Pearse’schen Dichtung, die ihre Quellen genauso im Unabhängigkeitsstreben und dessen katholisch-irischer Terminologie hat wie das sonstige publizistische Werk: „In seinen politischen Reden und Schriften, die von religiösen Begriffen wie Taufe, Kommunion und Wunder durchzogen sind, verband er gälisches Siegespathos mit dem Ethos christlichen Märtyrertums“, so Oeser. Das macht gerade die Dichtung, vor allem vor dem Hintergrund des Ersten Weltkriegs, den Pearse begeistert begrüßte als „Tribut von Menschenleben, bereitwillig entrichtet aus Liebe zum Vaterland“, heute schwer verständlich, bisweilen auch schwer erträglich, aber Pearse war mit seiner Haltung ja kein Einzelfall.

       Was ihn exemplarisch und unbedingt übersetzungswürdig macht, ist das Pathos der lyrischen Tätigkeit, gipfelnd in vier letzten Gedichten im Wissen um die baldige eigene Hinrichtung. Warum nur hat Oeser die Gedichte nicht in der Reihenfolge ihrer Entstehung geordnet? Sie bieten eine Lehrstunde zur Faszination von aus Ästhetizismus geborenem Fanatismus. Pearses’ Verteidigung vor dem Kriegsgericht wurde selbst von den Anklägern als geradezu poetische Tat begriffen.

       „Es muss etwas ernstlich verkehrt sein an der Lage der Dinge“, erzählte später der Richter, der ihn zum Tode verurteilte, „dass ein Mann wie dieser zum Rebellen wird.“ Das hinderte das Gericht allerdings nicht, auch den Bruder William und dreizehn weitere Aufständische hinrichten zu lassen, obwohl Patrick Pearse an es appelliert hatte, „einzig mein Leben als Pfand zu akzeptieren“. Dieses ganz im pathetischen Geist seiner Dichtung gehaltene Plädoyer traf jedoch auf die harte politische Realität. Auch das war exemplarisch.

 

(Andreas Platthaus, Frankfurter Allgemeine Zeitung, 26. April 2016)

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Von Pádraig Pearse (auf dem Cover in englischer Namensversion) war das ganze Jubiläumsjahr hindurch viel die Rede, jetzt zum Abschluss können wir noch ein Buch mit seinen Gedichten vorstellen. ,,Der Rebell“ heißt die Sammlung, was ja passt zu jemandem, der das Britische Empire angriff und nebenbei noch das in seinen Augen erstarrte Unterrichtssystem seiner Zeit herausfordern wollte. Im Nachhinein ist klar, dass es leichter war, das Empire zu knacken, aber dafür konnte Pearse nun wirklich nichts. Er hat nicht sehr viele Gedichte geschrieben, Essays und Theaterstücke waren eher seine Stärke. Er schrieb auf Englisch und auf Irisch, im Buch sind die Gedichte jeweils im Original und in deutscher Übersetzung abgedruckt. Der Übersetzer, der selbst kein Irisch kann, hat dabei auf englische Übersetzungen zurückgegriffen, und allein schon der Vergleich von Original und Übersetzung ist ungeheuer spannend. Manchmal liegt er viel näher am Original: „The old woman of Beare“, hier: „das Alte Weib von Beare“ ist im Original „cailleach“, kein höfliches Wort für eine alte Dame. Manchmal auch nicht: Ein „rann“ ist im Irischen ein immer wiederkehrendes Textstück, wie ein Refrain, auch wenn es in Prosa gehalten sein kann. „Vers“ ist nicht dasselbe, aber andererseits fällt es gar nicht auf, wenn man nur die Übersetzung liest. Manchmal ist es schade, z. B. wenn im Original von „Boney“ die Rede ist, um zu zeigen, wie sehr die Iren 1798 auf französische Hilfe hofften. Auf dem Umweg über die englische Übersetzung wurde daraus das viel strengere und offiziellere „Bonaparte“. Die Vergleiche machen Spaß, die Hochachtung vor dem Übersetzer wächst, der eine eigentlich unmögliche Aufgabe ziemlich grandios gelöst hat. Er hat auch umstrittene Gedichte von Pearse aufgenommen, z. B. eins, in dem der einen kleinen Jungen andichtet, wie ein Liebesobjekt, was für den heutigen Blick reichlich unappetitlich klingt, aber das sehr kluge Nachwort stellt Pearse in den Kontext seiner Zeit und vor allem in seinen eigenen: Er schwebte dermaßen in höheren Sphären und war von seinem Sendungsbewusstsein so durchdrungen, dass er alle sexuellen Ineressen unterdrückte und nicht ahnte, wie sehr er missverstanden werden könnte. Nicht misszuverstehen ist sein furchtbarer Drang nach Blutopfern, auch darauf geht das Nachwort ein, und wenn man also eine Einführung in Pearsens Denken haben möchte, ohne sich mit seinen Essays herumzuschlagen, dann ist diese Sammlung perfekt.

 

(Gabriele Haefs, FOLKmagazin 2016, S. 42)

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